Die US-Regierung will der Ukraine umstrittene Streumunition zur Verteidigung gegen Russland liefern. Es sei eine schwierige Entscheidung gewesen, aber US-Präsident Joe Biden habe sich dafür entschieden, sagte der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan. Die USA haben mit einer Lieferung von Streumunition bisher gezögert – obwohl die Ukraine die Bomben schon lange fordert. Fredy Gsteiger, Diplomatischer Korrespondent von SRF, beantwortet die wichtigsten Fragen zum heiklen Vorhaben.
Wie kam es zum Kurswechsel der USA?
Kiew hat die Lieferung von Streubomben zuletzt mit immer mehr Nachdruck verlangt. Munition ist auf ukrainischer Seite derzeit extrem knapp. Die Ukrainer haben ihre eigenen Streubomben-Arsenale weitgehend ausgeschöpft; der Westen ist nicht imstande, ihnen rasch so viel andere Munition zu liefern, wie sie benötigen. Dazu kommt: Die Amerikaner glauben oder behaupten zumindest, dass sie Streubomben entwickelt haben, bei denen es kaum noch Blindgänger geben soll.
Warum sind Streuminen so wichtig für die Ukraine?
Hauptsächlich, weil ihre Gegenoffensive zur Befreiung der von Russland besetzten Gebiete nur schwer vorankommt. Ein grosses Problem sind die stark befestigten russischen Verteidigungslinien, die sie während Monaten aufgebaut haben. Diese sind offenbar nur schwer zu knacken. Die Ukrainer hoffen, dass die Streubomben genau die Waffe sein könnte, die ein entschiedeneres Vorrücken erlaubt.
Warum sind Streubomben international geächtet?
Einerseits liegt das an der Gefahr von Blindgängern. Andererseits werden sie bei ihrem Einsatz in Hunderte, ja sogar Tausende von Sub-Bomben aufgeteilt. Dabei werden oft – und fast zwangsläufig – auch Zivilisten getötet. Streubomben sind keine Präzisionswaffe, sondern richten auf einem Areal von 40 bis 50 Fussballfeldern Zerstörung an. Die Genfer Konventionen über das humanitäre Kriegsvölkerrecht verbieten Waffen, bei deren Einsatz nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten unterschieden werden kann.
Warum setzt sich ein Verbot weltweit nicht durch?
Seit 2008 gibt es ein Abkommen, das den Einsatz von Streumunition verbietet. 111 Länder haben das Verbot ratifiziert, zwölf zusätzliche haben es zumindest unterzeichnet. Die USA haben dieses Abkommen allerdings nicht unterschrieben, ebenso wenig wie mehrere Dutzend andere Staaten. Darunter die Ukraine sowie die Grossmächte Russland und China. Dies, weil Streubomben aus militärischer Sicht als sehr wirksame Waffe gelten.
Welche Konsequenzen hat der US-Entscheid?
Ein Grossteil der Nato-Mitgliedsländer hat das Streubomben-Verbot ratifiziert. Die westliche Allianz auf Seiten der Ukraine vertritt also in einer zentralen Frage nicht dieselbe Haltung. Und: Die Lieferung schwächt die moralische Autorität der Amerikaner. Bislang waren es einzig die Russen, die das Völkerrecht in diesem Konflikt krass verletzt haben. Die Amerikaner hielten sich auf der legalen, rechtskonformen Seite. Nun dürften sie heftig angeprangert werden. Denn nur, weil man ein Abkommen nicht unterzeichnet hat, kann man nicht tun und lassen, was man will.