Grossbritannien und die USA wollen einen möglichen Vergeltungsschlag in Syrien miteinander abstimmen. Dies sagten die Sprecher in Washington und London, nachdem die beiden Regierungen getagt hatten. In der Nacht haben US-Präsident Trump und die britische Premierministerin Theresa May in der Angelegenheit telefoniert. Neben der Solidarität mit Washington sei May aber auch von innenpolitischen Zwängen getrieben, sagt SRF-Korrespondent Martin Alioth.
SRF News: Beteiligt sich Grossbritannien an einem Militärschlag in Syrien oder nicht?
Martin Alioth: Es sieht durchaus so aus, als ob die Briten dabei wären. Das britische Kabinett hat sich gestern Abend in einer langen Sondersitzung darüber ausgetauscht und Premierministerin May letztlich grünes Licht gegeben; sie also ermächtigt, die Kontakte mit den USA und Frankreich weiterzuführen. Und: Das Kabinett hat festgestellt, der Einsatz chemischer Waffen könne nicht unwidersprochen bleiben.
Frankreich und die USA haben deutlichere Signale gegeben, dass ein Militärschlag in Syrien notwendig sei. Warum hält sich die britische Regierung bedeckt?
Letztlich bewegt sich sie sich auf politischem Glatteis. Die Opposition – namentlich die Labour-Führung von Jeremy Corbyn, aber auch die Liberalen und schottischen Nationalisten – sind grundsätzlich gegen einen Militäreinsatz.
Rechtlich braucht May die Zustimmung des Parlaments für einen Militärschlag nicht. Aber politisch wäre sie höchst nützlich.
Erste Meinungsumfragen zeigen eine erschreckend tiefe Unterstützung für einen Militärschlag. Nur etwa 20 Prozent der Befragten befürworten einen britischen Einsatz in Syrien. Das alles muss die Regierung abwägen. Namentlich aus der Einsicht, dass Theresa May gewillt scheint, diesen Militäreinsatz ohne Befragung des Parlaments zu befehlen.
Braucht May für einen Militärschlag zwingend die Zustimmung des Parlamentes?
Jein. Sie braucht sie verfassungsrechtlich nicht. Die Entscheidung über Krieg und Frieden ist traditionell eine sogenanntes «Crown Prerogative» («Vorrecht der Krone»). Die Premierministerin übt diese Vollmacht im Namen der Königin allein aus. Aber es hat sich in den letzten Jahren eine neue Verfassungspraxis eingependelt, dass das Parlament befragt wird.
Wenn May das Parlament erst nach einem möglichen Militärschlag um Rückendeckung bittet, diese aber nicht erhält, riskiert sie letztlich ihr eigenes politisches Überleben.
2013 lehnte das Parlament einen Militäreinsatz ab – just, als es um Syrien ging. Das heisst, die Verfassung ist dabei, sich zu verändern. Wir bewegen uns in einem Graubereich: Rechtlich braucht May die Zustimmung nicht. Aber politisch wäre sie höchst nützlich.
Ist Theresa May in einer Zwangslage?
In der Tat. Zum einen parlamentarisch: Wenn May das Parlament erst nach einem möglichen Militärschlag um Rückendeckung bittet, diese aber nicht erhält, riskiert sie ihr eigenes politisches Überleben. Dann gibt es auch auf anderer Ebene eine Zwangslage: May ist der Meinung, dass sie nach dem Giftanschlag auf den russischen Doppelagenten Skripal zur Solidarität mit den Amerikanern und Franzosen gezwungen ist und sich an diesem Militäreinsatz beteiligen muss. Denn unter anderem diese Länder haben aus Solidarität mit Grossbritannien viele russische Diplomaten ausgewiesen.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.