Worum geht es? Der Handel mit Captagon machte Syrien unter Baschar al-Assad zum umtriebigsten Drogenstaat der Welt. Fachpersonen sprechen von Umsätzen in Milliardenhöhe. Die Pillen waren offenbar das mit Abstand wichtigste Exportgut Syriens. Mit dem jüngsten Umsturz wird nun das ganze Ausmass des Geschäfts offenbar. So wurde beispielsweise auf dem Gelände des syrischen Luftwaffenstützpunkts Masseh eine «riesige Menge Captagon» entdeckt, wie Kämpfer der islamistischen HTS-Miliz verschiedenen Nachrichtenagenturen bei Führungen auf dem Gelände berichteten.
Was ist Captagon? Vor über 60 Jahren entwickelte ein deutscher Pharmakonzern das Aufputschmittel Captagon. Es handelt sich um ein psychoaktives Medikament gegen Narkolepsie (umgangssprachlich: «Schlafkrankheit»), das die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit fördert. Das Amphetamin tauchte in der Vergangenheit auch immer wieder als Doping im Sport auf. Fachpersonen warnen davor, dass die Substanz sehr schnell abhängig mache.
Herstellung unter Kontrolle von Assads Angehörigen? Internationale Ermittler halten Syrien seit Jahren für einen der weltweit grössten Hersteller von Captagon. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete zudem kürzlich von Beweisen dafür, dass Assads Bruder Mahir die Produktion angeführt habe. In Homs, Latakia und Tartus sei die Droge unter seiner und der Kontrolle weiterer Vertrauter Assads hergestellt worden. Der Sender Sky News Arabia berichtete ebenfalls über eine Produktionsstätte, die in Duma nahe der Hauptstadt Damaskus entdeckt worden sei. Demnach habe die Assad-Regierung eine frühere Fabrik zur Verarbeitung von Lebensmitteln beschlagnahmt und in eine Fabrik für Captagon verwandelt, das ins Ausland exportiert worden sei.
Wie verbreitet ist die Droge? In den letzten Jahren hat die Amphetaminpille weite Teile des arabischen Raums überschwemmt, von Irak über den Golf bis nach Marokko. Saudi-Arabien galt bislang als der grösste Absatzmarkt. Dort ist Captagon die Partydroge der reichen Elite und teils weniger tabu als Alkohol. Aber auch andere Bevölkerungsschichten putschen sich Berichten zufolge mit der leistungssteigernden Substanz auf.
Ein Mittel der syrischen Aussenpolitik? Assad «nutzte den Captagon-Handel auch, um Druck auf die Golfstaaten auszuüben, um Syrien wieder in die arabische Welt zu integrieren», so Hesham Alghannam von der Denkfabrik Carnegie Middle East Center schon vor dem Sturz des syrischen Regimes. Captagon habe eine Epidemie des Drogenmissbrauchs in den wohlhabenden Golfstaaten ausgelöst, während Assad nach Wegen suchte, seine diplomatische Isolation im Nachgang an den Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 zu beenden. Die Strategie war laut Hesham Alghannam erfolgreich: 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen.
Wie geht es weiter? In den vergangenen Jahren produzierte Syrien Millionen von Captagon-Pillen. Damit soll jetzt Schluss sein. Die Rebellen haben verschiedenen Berichten zufolge begonnen, Berge von Captagon zu verbrennen. «Weil es den Menschen schadet», so ein Kämpfer der islamistischen HTS-Miliz gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Inwieweit sich die Herstellung und der Handel möglicherweise in andere Länder verlagern wird, ist noch unklar.