Als eines der ersten Länder der Welt erlaubt Norwegen Grabungen am Meeresboden. Es geht darum, in Gebieten vor Grönland sowie in der Barentssee Mineralien zu gewinnen. Nordeuropa-Mitarbeiter Bruno Kaufmann erklärt, warum Norwegen die Ausbeutung des Tiefseebodens jetzt vorantreibt und welche Hürden noch im Weg stehen.
Was erhofft sich Norwegen von den Tiefseegrabungen?
Gleich vier Dinge. Norwegen möchte mehr Wissen dazu anreichern, was sich im Meeresboden verbirgt. Man hofft, mehr Metalle zu finden, die zum Beispiel für die Elektromobilität eingesetzt werden können. Ausserdem soll dadurch Unabhängigkeit von China – der aktuelle Weltführer in diesem Bereich – erreicht werden. Und schliesslich erhofft sich Norwegen mehr Geld. Das Land ist dank Öl- und Gaswirtschaft bereits sehr reich, aber die ist am Ausklingen.
Hunderte Meter unter Wasser wird Bergbau betrieben. Lohnt sich der Aufwand?
Das muss sich jetzt zeigen. Denn so tief und umfassend ist noch nie nach Rohstoffen gesucht worden. Aber Norwegen sieht natürlich auch eine Chance, hier von Anfang an technologisch zu einer Art Grossmacht für den Tiefseebodenbergbau zu werden. Und das Land steht, wie gesagt, in Konkurrenz zu China, das hier vorwärtsmacht. Norwegen möchte sozusagen als die demokratischere, umweltgerechtere Variante führend werden.
Erfolgreiche Grabungen könnten Norwegens Rolle als Öl- und Gasproduzent konkurrenzieren. Passt das zusammen?
Es passt, da Norwegen schon seit langer Zeit mit den Reichtümern im und unter dem Meere gearbeitet hat: Einerseits ist das Meer für das Land Speisekammer über die Fischwirtschaft, dann Gas- und Öl-Schatzkammer, wo man eben in den letzten Jahrzehnten wirklich enorme Mittel generiert hat. Und jetzt eben drittens soll der Tiefseeboden als sogenanntes unerschlossenes Territorium für seltene Erden genutzt werden. Damit kann man erneut den staatlichen Reichtum für die Zukunft einsetzen. Mit der Öl- und Gaswirtschaft hat Norwegen einen der grössten Staatsfonds der Welt angereichert. Dort lagern im Moment über 1200 Milliarden Franken.
Es gibt auch Kritik. Was sind die Befürchtungen?
Die Kritik und die Skepsis sind umfassend. Die grossen Umweltverbände warnen vor irreparablen Schäden am Meeresboden, wenn da jetzt die Bagger auffahren und zu graben beginnen. Auch Forscher raten klar davon ab, weil sie sagen, es sei viel zu wenig bekannt, wie das Ökosystem im Meer reagieren wird. Innenpolitisch wird die sozialdemokratische Regierung vor allem von links-grün kritisiert. Und aussenpolitisch steht etwa die EU im Weg. Sie lehnt das Ansinnen kategorisch ab. Die Befürchtung: Das könnte zu einem geopolitischen Pulverfass werden.
Es gibt schon viele Bekenntnisse von grossen Firmen wie Google oder Samsung, die ganz klar sagen: Wir wollen keine Metalle von diesen Tiefseeböden verwenden.
Wie geht es jetzt weiter?
Norwegen hat beschlossen, auf eine Art Sichtflug zu gehen. Nach den ersten Untersuchungen wird das Parlament erneut abstimmen, bevor es wirklich zur Förderung kommt. Trotzdem ist dieser Grundsatzentscheid eine Art Paradigmenwechsel. Denn damit wird die letzte Wildnis potenziell für die wirtschaftliche Ausbeutung freigegeben.