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Missbrauchsprozess in Avignon Warum Gisèle Pelicot ihr Leiden publik macht – in allen Details

Die Geschichte ist unvorstellbar: Über Jahre wird Gisèle Pelicot von ihrem Ex-Mann unter Drogen gesetzt und als sie bewusstlos ist, von ihm und mindestens 50 anderen Männern vergewaltigt. Die Journalistin Annika Joeres verfolgt den Prozess vor Ort in Avignon. Dort erlebt sie eine Frau, die mit unfassbarer Willensstärke gegen ihre Peiniger vorgeht.

Annika Joeres

Journalistin in Südfrankreich

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Die deutsche Journalistin und Buchautorin Annika Joeres berichtet als freie Journalistin und Frankreich-Korrespondentin für diverse deutschsprachige Medien. Daneben gehört sie zum Team der Rechercheplattform Correctiv, wo sie als Klima- und Umweltjournalistin tätig ist.

SRF News: Wie wirkt Gisèle Pelicot nach so vielen Verhandlungstagen, in denen sie sich jedes Detail ihrer Vergewaltigungen anhören und ansehen musste?

Annika Joeres: Es ist sehr beeindruckend, wie sie tagtäglich im Gerichtssaal sitzt. Sie lässt sich nicht viel anmerken. Nur manchmal setzt sie ihre Sonnenbrille auf und man bekommt das Gefühl, dass es ihr zu weit mit den Details der brutalen Vergewaltigungen geht.

Illustration einer ernsten Frau mit roten Haaren blickt zur Seite.
Legende: Ganz bewusst hat die 72-jährige Gisèle Pelicot darum gebeten, dass der Prozess öffentlich stattfindet. Derzeit hört sie sich die Befragung ihrer Peiniger an. Keystone/Valentin Pasquier

Der schönste Moment an diesen sehr unschönen Prozesstagen ist, wenn sie aus dem Gerichtssaal kommt. Dort wird sie jeweils von sehr vielen Menschen empfangen, die sie unterstützen, ihr applaudieren, ihr Blumen und Pralinen schenken. Dann blüht sie jeweils auf und wirkt gelöster.

Gisèle Pelicot will den Menschen klarmachen, was bei solch schrecklichen Taten passiert. Das ist ihre Motivation.

Gisèle Pelicot ist zu einer Art Ikone geworden, weil sie sich nicht verstecken will. Sie sagt, dass nicht sie sich schämen solle, sondern ihre Vergewaltiger. Wie wichtig ist diese Haltung im Prozess?

Vergewaltigungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, häufig fehlen den Opfern auch die Beweise. In diesem Fall hat ihr Ex-Ehemann aber alles auf Video aufgenommen. Die Beweise liegen vor, und sie möchte, dass sich die Menschen das ansehen: Alle sollen verstehen, wie grausam diese Taten waren.

Der Richter wollte zunächst nicht, dass die Filme gezeigt werden. Er fürchtete, dass dies zu voyeuristisch sein könnte. Gisèle Pelicot hat aber darauf bestanden. Wie ich finde, zu Recht. Sie will den Menschen klarmachen, was bei solch schrecklichen Taten passiert. Das ist ihre Motivation.

Derzeit werden die mutmasslichen Vergewaltiger befragt. Was sind das für Männer?

Am ersten Prozesstag habe ich mich gefragt, wer eigentlich all diese Männer im Saal sind. Bis ich gemerkt habe, dass es sich bei ihnen um Angeklagte handelt. Es sind ganz durchschnittliche Männer, es geht querbeet durch die Gesellschaft und alle Altersgruppen: Rentner, Informatiker, ein Schlosser, ein Journalist oder ein Fliesenleger sind darunter.

Dieser Prozess zeigt, dass die Gefahr häufig aus absoluter Nähe droht – und genau darüber wird nun diskutiert.

Der Vergewaltigungsfall ist in seinem Ausmass ungeheuerlich, entsprechend gross ist die Aufmerksamkeit. Ist das aber mehr als Voyeurismus, verändert der Fall tatsächlich etwas in der Gesellschaft?

Ja, das glaube ich. Dieser Prozess zeigt, dass die Gefahr häufig aus absoluter Nähe droht – und genau darüber wird nun diskutiert. Denn in den meisten Köpfen ist das noch gar nicht angekommen. Unter Fachleuten ist lange bekannt, dass viele Täter ihr Opfer gut kennen – seien es der Partner, ein Kollege, Freund oder Nachbar. Nun laufen Diskussionen, welche Gesetzesänderungen es braucht, um solche Taten besser verhindern zu können.

Um was für Gesetzesänderungen geht es konkret?

Der französische Justizminister hat etwa angekündigt, dass im Gesetz verankert werden soll, dass es vor einem sexuellen Akt die aktive Zustimmung der beteiligten Personen braucht. Zudem wird diskutiert, dass die Polizei und Mediziner fortgebildet werden sollen.

Es soll eine Art Notfallkit für Frauen geben, die glauben, dass sie mit Drogen gefügig gemacht wurden. Mittels Haar- und Bluttests soll schnell nachgewiesen werden können, ob chemische Substanzen verabreicht wurden – bevor die Beweise buchstäblich aus dem Körper verschwinden.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

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Echo der Zeit, 14.10.2024, 18 Uhr ; 

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