Von einer «atemberaubenden Arroganz» sprach der Richter am australischen Bezirksgericht, als er das Strafmass im Prozess gegen Kardinal George Pell verkündete. Der Geistliche habe einen 13-jährigen Chorknaben sexuell missbraucht, einen 12-jährigen belästigt.
Das Gericht verurteilte mit George Pell den ehemaligen Finanzminister des Vatikans – einen Vertrauten von Papst Franziskus und die frühere Nummer drei in der Hierarchie des Vatikans. Pell ist der ranghöchste römisch-katholische Geistliche, der wegen sexuellen Missbrauchs ins Gefängnis muss.
Keine definitiven Massnahmen im Vatikan
Im Vatikan platzt eine Bombe. Und damit nicht genug: Es gäbe kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt für ein derartiges Urteil. Der Missbrauchsgipfel im Vatikan ist noch keinen Monat her. Die Kritik, dass der Vatikan zu zögerlich bleibe und keine konkreten Massnahmen beschlossen habe, ist noch frisch.
Im Fall George Pell hat der Vatikan eine Untersuchung eingeleitet. Der Kardinal darf sein Amt nicht öffentlich ausüben und keinen Kontakt mit Minderjährigen haben. Doch für den Entscheid, ob der Kardinal auch kirchenrechtlich bestraft wird, will der Papst ein rechtskräftiges Urteil abwarten. Denn George Pell bestreitet die Vorwürfe und hat Berufung angekündigt.
Der Schaden ist angerichtet
Im Extremfall kann der Vatikan den Kardinal aus dem Priesterstand entlassen. Nebst der Exkommunikation die Höchststrafe in der römisch-katholischen Kirche. Dass der Vatikan dazu durchaus bereit ist, hat er beim Fall des Washingtoner Erzbischofs Theodore McCarrick gezeigt, der nach seiner Verurteilung aus dem Klerikerstand entlassen wurde.
Doch selbst wenn sich der Papst bei George Pell für diesen Schritt entscheidet: Der Schaden ist angerichtet. Ein Geistlicher, der sich jahrelang im Zentrum der Macht bewegte, wurde wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Einer, bei dem es schon länger Gerüchte gab über mögliche Übergriffe. Hinzu kommt, dass gerade letzte Woche der französische Erzbischof Philippe Barbarin verurteilt wurde, weil er sexuelle Übergriffe vertuscht hat.
All das lässt die ohnehin schon kleine Wirkung des Missbrauchsgipfels verpuffen. Und es nährt die Forderungen nach einem ausserkirchlichen Gremium, das die Missbrauchsfälle untersuchen soll. Die Missbrauchskrise hat im Vatikan einen neuen Höhepunkt erreicht.