Wer sind die 20 Angeklagten? Die wichtigsten Angeklagten sind zwei hochrangige ehemalige Mitarbeiter und Vertraute des Kronprinzen, darunter der ehemalige stellvertretende Geheimdienstchef. Den beiden wird vorgeworfen, sie seien die Drahtzieher des abscheulichen Verbrechens gewesen. Sie sollen die andern 18 zu Folter und Mord an Jamal Khashoggi angestiftet zu haben. Die andern sind jene Männer, die als Gruppe kurz vor der Tat nach Istanbul gereist waren oder schon dort waren, darunter ein Gerichtsmediziner mit einer Knochensäge, so die Anklage. Die Mitglieder dieses Mordkommandos haben die Türkei sofort nach dem Verbrechen wieder verlassen. Der Prozess gegen sie in Istanbul findet denn auch in ihrer Abwesenheit statt.
Warum gibt es noch einen Prozess in der Türkei? Die Türkei traut der saudischen Justiz nicht. Angefangen bei den Ermittlungen: Die saudischen Experten, die nach dem Mord ins Konsulat geschickt wurden, seien nicht gekommen, um Beweismittel aufzunehmen, sondern um Spuren zu verwischen. Der Prozess in Saudi-Arabien fand dann auch weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Und die mutmasslichen Drahtzieher, die beiden Spitzenbeamten, waren gar nicht unter den Angeklagten. Kommt hinzu, dass die Familie von Khashoggi den Verurteilten angeblich verziehen hat. Ihre Strafen werden in Saudi-Arabien also nochmals neu bemessen. All das ist der Türkei zu wenig für ein derart horribles Verbrechen, das im Schutz der konsularischen Immunität und in aller Dreistigkeit auf ihrem Staatsgebiet begangen wurde. Und es sind noch diverse Fragen offen. Etwa, wo die Leiche, oder was von ihr noch übrigblieb, hingebracht wurde.
Was ist im Prozess Neues zu erwarten? Die Verlobte von Khashoggi erhofft sich von dem Prozess mehr Klarheit über den Hergang und die Hintergründe – und dass die Verantwortlichen tatsächlich auch ihrem Verschulden nach benannt werden. Wieweit das gelingt, wird sich zeigen. Die Ankläger werden wohl alle die Mitschnitte der Überwachungskameras und die Abhörprotokolle aus dem Inneren des Konsulats nochmals ausbreiten. Nach dem Verbrechen sickerten diese in Ausschnitten mit immer neuen schockierenden Details via türkischen Medien schon damals durch und wurden auch einer Reihe von ausländischen Geheimdiensten zugänglich gemacht.
Könnte der Prozess für den saudischen Herrscher gefährlich werden? Kaum, sein Ruf hat unmittelbar nach der Tat schweren Schaden erlitten. Es gab natürlich die Frage, wie in einem derart autoritär geführten Staat wie Saudi-Arabien der oberste Verantwortliche nicht im Bild sein könnte über den Mord an seinem wichtigsten Kritiker. Dieser Mord hat das Bild gewandelt vom zupackenden Erneuerer der erzkonservativen Ölmonarchie zum ruchlosen Machtmenschen. Mohammed bin Salmans Handeln wird seither viel kritischer bewertet. Andererseits ist Saudi-Arabien wirtschaftlich zu interessant und hat zu gute Verbündete, insbesondere in Washington, als dass bin Salman viel befürchten müsste. Aber der Prozess in Istanbul zerrt jetzt noch einmal die skizzierte Fratze an die Öffentlichkeit. Und der türkische Präsident Erdogan arbeitet auch mit Ausdauer daran, dass das schlechte Image des saudischen Kronprinzen nicht so schnell vergessen wird.