Wie endet das unendliche Scheidungsdrama zwischen Grossbritannien und der EU? Diese Frage wird dem Mann mit der eindrücklichen Stimme und den farbenfrohen Krawatten offenbar immer wieder gestellt. Und sie stand auch am Donnerstag in der Aula der Universität Zürich im Raum.
John Bercow beantwortete sie deshalb gleich zu Beginn seiner Rede: «Ich weiss es nicht.» Denn jeder, der mit voller Überzeugung prophezeien könne, wo diese unendliche Geschichte enden werde, sei «entweder eine ausserordentlich kluge Person- oder – ein rücksichtsloser Schwachkopf.»
Als Sprecher des Parlaments sei es weder seine Aufgabe einen Brexit zu verhindern noch zu erleichtern: «Ich muss nur ermöglichen, dass das Parlament seinen Willen äussern kann.»
Dass am Schluss das britische Parlament über die Modalitäten des Brexit entscheidet, ist für Bercow nicht verhandelbar: «Das ist nicht ein Wunsch, eine Vision und es ist auch keine Meinung. Es ist ein Gesetz des Landes, ein verbindlicher Auftrag. Sich an ein Gesetz zu halten, ist eine Grundregel des Rechtsstaats, das Fundament einer Demokratie.»
Niemand kann so gross sein, dass er über dem Gesetz steht. Punkt.
Bercow warnt, man begebe sich in äusserst gefährliches Territorium, wenn man im 21. Jahrhundert in einem demokratischen Staat darüber debattiere, ob sich eine Regierung an ein Gesetz halten müsse oder nicht: «Ich denke, die Bürgerinnen und Bürger werden sich mit überwältigender Mehrheit darin einig sein, dass das Gesetz das Gesetz ist. Ende der Diskussion.»
Der Rechtsstaat habe in Grossbritannien lange Tradition und sei immer respektiert worden, erklärt Bercow. Und bemüht ein britisches Sprichwort: «Niemand kann so gross sein, dass er über dem Gesetz steht. Punkt.»
Wenn Andersdenkende als Feinde betrachtet, eingeschüchtert und bedroht werden – dann liegt etwas extrem im Argen.
Was in den nächsten Wochen passiere, könne niemand sagen. Aber die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten seien eigentlich klar und deutlich ausgeschildert.
Man bewege sich mit grossem Tempo in unkartiertem Gelände und der Ton werde immer gehässiger, beklagt Bercow. Im Parlament, auf der Strasse und insbesondere in den Sozialen Medien: «Wenn sich Menschen in Debatten nicht mehr vorstellen können, dass jemand eine Meinung vertreten kann, die sich von der eigenen unterscheidet. Wenn Andersdenkende als Feinde betrachtet, eingeschüchtert und bedroht werden – dann liegt etwas extrem im Argen.»
Dann sei es die Aufgabe der Politik – und zwar überall auf der Welt – dafür Verantwortung zu übernehmen, dass Debatten wieder respektvoll geführt würden. «Alles andere ist – hässlich – ungeheuerlich – und abscheulich.»
Mut schöpfen bei Churchill
Grossbritannien steckt in einer politischen Krise, welche Parteien, die Gesellschaft und selbst Familien immer mehr spaltet. Bercow verfolgt die Entwicklung mit Besorgnis, bleibt jedoch optimistisch. Er hält sich dabei an Winston Churchill.
Er hielt 1946 im genau gleichen Hörsaal wie Bercow seine berühmte Zürcher Rede. Was Churchill über den Brexit sagen würde, wissen wir nicht, aber dessen Lebensmotto sei bekannt: «Immer dranbleiben – nie aufgeben. Sich von nichts umbringen lassen. Immer weiter machen. Sich weigern zu verlieren. Sich noch mehr Mühe geben.»
Aus Bercows Sicht gibt es zwei Dinge, die in der Politik und in jedem Lebensbereich viel zum Erfolg beitragen: Inspiration und Talent. «Dazu kommt meiner Meinung nach die massiv unterschätzte, aber ebenso wichtige Zutat der schweisstreibenden harten Arbeit, die an jedem Erfolg haftet.»