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Nach Anschlag in Kaschmir Die Lebensader Indus wird zur Waffe

Streit der Atommächte: Nach dem Anschlag in Kaschmir setzt Indien einen historischen Wasservertrag mit Pakistan aus.

Den Gletschern des Himalayas entspringt der Indus, einer der mächtigsten Flüsse der Welt. Seit Urzeiten ist er die Lebensader der Zivilisationen, die sich im Nordwesten des indischen Subkontinents entwickelt haben. Heute leben rund 270 Millionen Menschen von seinem Wasser, vornehmlich in Indien und Pakistan.

Karte
Legende: Der Indus entspringt im südlichen Tibet, auf über 5000 Metern Höhe. SRF

Nun liegen die beiden Atommächte im Clinch – und der Indus wird zur Waffe. Neu-Delhi macht den Nachbarn für einen verheerenden Terroranschlag in Kaschmir verantwortlich. Der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt droht zu eskalieren: Indien greift zu drastischen Massnahmen.

Kriegsrhetorik auf beiden Seiten

Die Regierung von Narendra Modi hat die Ausreise aller pakistanischen Staatsangehörigen angeordnet – und das Abkommen ausgesetzt, das die gemeinsame Nutzung des Indus' regelt. Pakistan annullierte seinerseits Visa für indische Bürgerinnen und Bürger. Zudem soll die Grenze geschlossen und der Handel ausgesetzt werden.

Modi
Legende: Modi drohte in einer Rede im indischen Bundesstaat Bihar, «unmenschliche Terroristen und ihre Mitverschwörer werden stärker bestraft als sie sich vorstellen können». Die Zeit sei gekommen, jedes Stück Land, auf dem sie stünden, zu zerstören. Getty Images/Bloomberg/Stefani Reynolds

Welche Bedeutung der Indus-Vertrag hat, zeigt Islamabads Reaktion: Jeder Versuch, den Wasserlauf zu stoppen oder umzuleiten, werde als Akt des Krieges betrachtet «und mit dem gesamten Spektrum der nationalen Macht beantwortet werden», teilte das Büro des pakistanischen Premierministers Shehbaz Sharif mit.

Der Indus-Vertrag hat bislang drei Kriege und sehr viele Krisen zwischen den beiden Ländern überlebt.
Autor: Christian Wagner Südasien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik

Südasien-Experten Christian Wagner spricht von einer besorgniserregenden Entwicklung. Scharfmacher auf indischer Seite verlangten seit Jahren, den Wasservertrag aufzulösen. Doch auch schon seine Aussetzung sei ein sehr starkes Zeichen, sagt Wagner. «Denn der Vertrag hat bislang drei Kriege und sehr viele Krisen zwischen den beiden Ländern überlebt.»

Indischer Soldat in Kaschmir, vor ihm beten Muslime.
Legende: Der Kaschmir-Konflikt schwelt seit bald 80 Jahren und eskalierte immer wieder. In dem Gebiet sind hunderttausende indische und pakistanische Soldaten stationiert. Keystone/AP/Mukhtar Khan

Das Blutbad in der «Mini-Schweiz» von Kaschmir droht eine Eskalationsspirale in Gang zu setzen, die die Region in eine tiefe Krise stürzen könnte. Ihren Kurs gegenüber Pakistan habe die Regierung Modi aber schon seit Jahren verschärft, so der Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: «Neu-Delhi hat die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Nachbarland deutlich reduziert.»

Indien «entkoppelt» sich von Pakistan

Damit hatte Indien laut Wagner auch auf Terroranschläge im Land reagiert. So wirft es dem pakistanischen Geheimdienst vor, islamistische Terrorgruppen in der Kaschmir-Region zu unterstützen. Eine Einschätzung, die auch von westlichen Nachrichtendiensten geteilt wird.

Proteste in Kaschmir
Legende: 2019 hat Indien den Autonomiestatus des von ihm kontrollierten Teils von Kaschmir aufgehoben. Pakistan reagierte brüskiert auf den Entscheid, in Kaschmir selbst kam es zu Protesten. Keystone/AP/Dar Yasin

Wagner schliesst: «Indien versucht zunehmend, seine Beziehungen von Pakistan zu entkoppeln.» Mit der Aussetzung des Indus-Wasservertrags werde nun auch das letzte Format infrage gestellt, in dem ein Dialog zwischen den beiden Ländern stattfinde.

Darum geht es im Kaschmir-Konflikt

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Kaschmir
Legende: SRF

Seitdem das frühere Britisch-Indien im Jahr 1947 unabhängig und in Indien und Pakistan geteilt wurde, streiten die beiden Länder um die Herrschaft über das Himalaya-Gebiet Kaschmir. Beide beherrschen jeweils einen Teil; ein weiterer Teil Kaschmirs gehört zu China.

Immer wieder kommt es im indischen Teil zu Gewalt zwischen Sicherheitskräften und Separatisten, die eine Abspaltung des überwiegend muslimischen Kaschmirs vom mehrheitlich hinduistischen Indien wollen. Indien wirft Pakistan vor, islamistische Kämpfer im indischen Teil zu unterstützen. Islamabad bestreitet dies.

Für Pakistan wäre es verheerend, wenn tatsächlich weniger Wasser über den Indus ins Land fliessen sollte. «Für die Landwirtschaft und grosse Teile der Bevölkerung hätte das dramatische Folgen», schätzt der Kenner der Region. «Schliesslich geht es hier um ihre Lebensgrundlage.»

1947 gingen die Staaten Pakistan und Indien aus den Trümmern des britischen Kolonialreichs hervor. Der Wasservertrag entstand in den 1950er-Jahren unter Vermittlung der Weltbank. Als historisch gilt das Abkommen auch, weil es bis heute überdauert – und eine einsame Erfolgsgeschichte im bilateralen Verhältnis ist. Sollte diese enden, könnte sie sich in ihr Gegenteil verkehren.

Schusswechsel an «Kontrolllinie» im Grenzgebiet

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Inmitten der verschärften Spannungen zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan ist es zwischen Soldaten beider Länder zu einem Schusswechsel gekommen. Wie die Nachrichtenagentur DPA aus Kreisen des pakistanischen Geheimdienstes erfuhr, ereignete sich der Vorfall in der vergangenen Nacht an einem Punkt der sogenannten Kontrolllinie. Diese Demarkationslinie markiert den faktischen Grenzverlauf zwischen den von Indien und Pakistan kontrollierten Teilen der umstrittenen Kaschmir-Region.

Im Visier des gegenseitigen Beschusses hätten Aussenposten des jeweils anderen Militärs gestanden, hiess es. Es habe keine Tote oder Verletzte gegeben. Auch die indische Zeitung «The Indian Express» berichtete mit Berufung auf eine indische Militärquelle von Schüssen an der Kontrolllinie. In der Vergangenheit ist es in der Grenzregion häufiger zu Schusswechseln zwischen Soldaten gekommen, seit einigen Jahren war es dort jedoch vergleichsweise ruhig.

SRF 4 News, 25.4.2025, 6:20 Uhr ; 

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