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Anschlag auf Touristenhochburg Wie der Terror die «Mini-Schweiz» in Kaschmir heimsuchte

In einem beliebten Ferienort im Norden Indiens richten Terroristen ein Blutbad an. Die Hintergründe.

Seit Jahrzehnten schwelt der Kaschmir-Konflikt. Immer wieder eskaliert er. So auch am Dienstag, als ein verheerender Terroranschlag das Baisaran-Tal heimsuchte. Einen Touristenort, der in Indien als «Mini-Schweiz» bekannt ist.

Büffel auf Wiese in Pahalgam.
Legende: Die Region in Kaschmir ist ein beliebtes Ziel für indische Touristinnen und Touristen – die sich nicht ganz zufällig an die Schweiz erinnert fühlen. Getty Images / Saqib Majeed

Laut Polizeiangaben eröffneten Angreifer unvermittelt das Feuer auf Touristen, mindestens 26 Menschen starben. Der Angriff ereignete sich beim Ferienort Pahalgam im von Indien kontrollierten Teil der Region im Himalaya.

Anschlag im Erholungsgebiet

Kaschmir wird sowohl von Indien als auch vom Nachbarland Pakistan beansprucht. Das Gebiet ist zwischen den beiden Ländern aufgeteilt. Hunderttausende Soldaten beider Seiten sind in Kaschmir stationiert. Mehrere Separatistengruppen kämpfen seit Jahrzehnten für den Anschluss Kaschmirs an Pakistan oder für die Unabhängigkeit von Indien.

Der Anschlag ereignete sich auf über 2200 Metern Höhe, wie Ulrich von Schwerin, Indien-Korrespondent der NZZ, berichtet. Wandern, Picknick, Ponyreiten: Das Tal inmitten einer szenischen Bergkulisse sei ein Hotspot für indische Touristen.  

«Plötzlich tauchten mehrere bewaffnete Männer auf einer Wiese auf und schossen auf die Menschen», so der Korrespondent. Laut Augenzeugenberichten sollen sie gezielt Männer angegriffen und Frauen und Kinder verschont haben.

Soldaten nach dem Anschlag.
Legende: In Pahalgam gibt es laut NZZ-Korrespondent Ulrich von Schwerin einen grösseren Stützpunkt indischer Sicherheitskräfte. Letztlich sei es aber schwierig, das weitläufige Tal flächendeckend zu schützen. Keystone / AP

Zum Anschlag bekannte sich die Terrorgruppe «The Resistance Front». Erstmals in Erscheinung trat sie laut dem Korrespondenten der NZZ vor drei Jahren. Sie gebe sich zwar einen «betont nicht-religiösen Anstrich».

Soldaten nach dem Anschlag
Legende: Der grösste Teil der Region Kaschmir ist zwischen Indien und Pakistan geteilt. Die Atommächte führten bereits zwei Kriege um die Herrschaft über das gesamte Himalaya-Tal. Getty Images / Hindustan Times / Waseen Andrabi

Faktisch dürfte es sich aber um eine Abspaltung der islamistischen Terrorgruppe Lashkar-e-Tayyiba handeln. «Womöglich hat sie die ‹Resistance Front› nur geschaffen, damit sich diese als Frontorganisation zu Anschlägen bekennen kann», schätzt von Schwerin. Nach Erkenntnissen westlicher Nachrichtendienste steht Lashkar-e-Tayyiba in enger Verbindung mit dem pakistanischen Geheimdienst.

Indien setzt Wasservertrag mit Pakistan aus

Der Anschlag hat nun die Spannungen zwischen Indien und Pakistan verschärft. Indien wirft Pakistan vor, grenzüberschreitenden Terrorismus zu unterstützen.

Darum geht es im Kaschmir-Konflikt

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Proteste 2019 in Kaschmir.
Legende: Protest in Kaschmir gegen Neu-Delhis zunehmende Einflussnahme in der Region (2019). Keystone / AP / Dar Yasin

Die Geschichte Kaschmirs ist wechselhaft und komplex. Das Gebiet war Schauplatz vieler Kriege, Aufstände und diplomatischer Krisen. In der ethnisch und religiös vielfältigen Region im Himalaya leben rund sieben Millionen Menschen. Indien beansprucht den gesamten ehemaligen Fürstenstaat Jammu und Kaschmir für sich, kontrolliert aber nur etwa die Hälfte des Gebiets. Der Westen und Norden befinden sich unter der Herrschaft von Pakistan, das seinerseits Anspruch auf die von Indien kontrollierten Gebiete erhebt. Ein kleiner Teil Kaschmirs gehört zudem zu China.

Der Kaschmir-Konflikt schwelt seit bald 80 Jahren und eskalierte immer wieder. Nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft 1947 wurde der indische Subkontinent in die unabhängigen Staaten Indien und Pakistan geteilt. Wie bei anderen mehrheitlich muslimischen Regionen wurde erwartet, dass die Region Pakistan zugeschlagen wurde. Regiert wurde Kaschmir damals aber vom hinduistischen Maharadscha Harin Singh, der für die Unabhängigkeit eintrat.

Schliesslich begann Pakistan, Aufständische zu unterstützen, um einen Anschluss zu erzwingen, worauf Singh die Hilfe der indischen Armee anforderte. Die Bedingung Delhis für die Unterstützung war der Anschluss des Fürstentums an Indien. Der Kaschmir-Konflikt sollte 1965 und 1999 zu Kriegen zwischen Indien und Pakistan führen. Dazu kommen zahlreiche Vorfälle, von Scharmützeln über Anschläge bis hin zu offenen Kampfhandlungen. Der Konflikt befeuerte auch die nukleare Aufrüstung der beiden südasiatischen Staaten.

Als Reaktion auf den verheerenden Terroranschlag hat das Land einen wichtigen Vertrag mit Pakistan über die Nutzung der Flüsse in der Himalaya-Region ausgesetzt. Der Indus-Wasservertrag mit dem Nachbarland werde mit sofortiger Wirkung suspendiert, erklärte der Staatssekretär im indischen Aussenministerium, Vikram Misri. Zudem hat Indien pakistanische Diplomaten ausgeschlossen und einen Grenzübergang geschlossen.

Anschläge in Kaschmir gehen zurück

In jüngster Zeit war es vergleichsweise ruhig im indisch kontrollierten Teil Kaschmirs. Die Zahl der Anschläge und Opfer sei rückläufig, bestätigt von Schwerin. «Die Sicherheitslage hat sich stark verbessert. Und das führt die indische Regierung auf ihre eigene Politik zurück.»

Maskierter Demonstrant attackiert indisches Polizeifahrzeug (31. Mai 2019)
Legende: Pakistan verurteilte den Schritt und stufte die diplomatischen Beziehungen zu Indien herunter. In Kaschmir selbst kam es zu Protesten. Keystone / AP / Dar Yasin

2019 hat die Regierung von Narendra Modi den Autonomiestatus der Region aufgehoben, um sie stärker unter ihre Kontrolle zu bringen. Es entstanden zwei neue Unionsterritorien – Jammu und Kaschmir sowie Ladakh.

Auch die Befugnisse der örtlichen Regierungen wurden von Neu-Delhi beschnitten. Für von Schwerin ist klar: Der Anschlag dürfte das Narrativ der Regierung Modi, wonach sich die Lage in Kaschmir normalisiert habe, infrage stellen: «Es gibt einen Exodus von Touristen aus der Region, das ist auch für die indische Zentralregierung ein schwerer Schlag.»  

Rendez-vous, 23.4.2025, 12:30 Uhr ; 

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