In der grössten Oppositionspartei der Türkei, der CHP, ist zwei Monate nach der schweren Wahlschlappe ein Kampf um die Macht entbrannt – sehr zur Freude von Präsident Erdogan. SRF-Auslandredaktor Philipp Scholkmann beantwortet die wichtigsten Fragen zum Machtkampf.
Wie steht es um die Opposition nach den Wahlen?
Die türkische Opposition müsste sich aufrappeln für die Gemeindewahlen im nächsten Frühling. Stattdessen zerfällt das Oppositionsbündnis aus den nationalen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im letzten Mai und es tobt in der grössten Oppositionspartei, der CHP, ein offener Kampf um die Macht.
Worum geht es beim Machtkampf in der CHP?
Ekrem Imamoglu, Bürgermeister von Istanbul, will den Rücktritt des langjährigen Parteichefs Kemal Kilicdaroglu. Ausserdem fordert er einen organisatorischen Neustart. Gekämpft wird mit harten Bandagen: So wurde ein internes Zoom-Meeting von Imamoglu mit seinen Gefolgsleuten ins Netz gestellt. Dabei ging es unter anderem um Pläne für einen vorgezogenen Parteitag, an dem Kilicdaroglu gestürzt werden könnte.
Wofür steht Imamoglu?
Imamoglu repräsentiert eine neue Generation in der Partei, die keine Berührungsängste gegenüber Nationalisten und Konservativen hat. 2019 eroberte Imamoglu das Stadtpräsidium der grössten türkischen Metropole und politischen Heimat Erdogans, Istanbul. Seither gilt er als Hoffnungsträger der Opposition. Als Kandidat gegen Erdogan bei den Präsidentschaftswahlen im Mai setzte sich dennoch der langjährige Parteichef Kilicdaroglu durch – und verlor. Nun folgt die Abrechnung.
Wird Kilicdaroglu als Parteichef der CHP zurücktreten?
Wahlverlierer Kilicdaroglu gibt die Schuld für die Niederlage im Mai vor allem dem System Erdogan, in welchem die Opposition keine fairen Chancen im Wahlkampf habe. Viele sehen das kritischer und weisen auch auf Kilicdaroglus eigene Versäumnisse hin. Als Parteichef zurücktreten will Kilicdaroglu erst, wenn ein «integrer» Kandidat gefunden sei. Imamoglu traut er dies offenbar nicht zu.
Wird die Justiz Imamoglu ausbremsen?
Dem Bürgermeister Istanbuls droht ein mehrjähriges Politikverbot wegen angeblicher Beleidigung der Wahlbehörden. Erstinstanzlich wurde er deswegen bereits verurteilt. Doch das scheint ihn im Kampf gegen Erdogan und um die Erneuerung seiner eigenen Partei nur noch anzuspornen.
Gab es geheime Wahlabsprachen zwischen Kilicdaroglu und Rechtsradikalen?
Kilicdaroglu soll dem Chef der winzigen rechtsradikalen «Siegespartei» im Falle eines Wahlsiegs nicht weniger als drei Ministerien zugesichert haben, darunter das gewichtige Innenministerium, ausserdem den Posten des Geheimdienstchefs. Das berichten die türkischen Medien. Kilicdaroglu musste einräumen, dass ein solches Geheimabkommen bestand, er ging aber nicht auf den Inhalt ein.
Was sind die Folgen für die türkische Opposition?
Die anderen Parteien gehen auf Distanz zur «toxisch» gewordenen CHP unter Kilicdaroglu. Dass das Wahlbündnis der Opposition zerfällt und sich die CHP in internen Abrechnungen weiter schwächt, empört auch viele Basismitglieder. Präsident Erdogan macht sich bereits Hoffnungen für die Gemeindewahlen im März, auch in Istanbul. Das Spektakel der Opposition sei «eine Chance» für seine Partei, liess der Staatspräsident verlauten.