Die Präsidentschaftswahl in der Türkei galt als die weltweit wichtigste Wahl des Jahres. Jetzt steht fest: Recep Tayyip Erdoganbleibt Präsident der Türkei. Was heisst das für den Ukraine-Krieg, die Nato und die EU? SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck liefert Antworten auf die fünf drängendsten Fragen.
Biden, Putin und andere haben Erdogan gratuliert. Wer hat Grund zur Freude?
Unter Erdogan hat sich die Türkei mehr und mehr nach Osten orientiert, die Beziehungen zu Russland, China und den arabischen Staaten vertieft. Dort dürfte also Freude herrschen. Gleichzeitig hat Erdogan aber nie mit dem Westen gebrochen. Sein aussenpolitisches Erfolgsrezept ist die Doppelstrategie: Verbindungen und Deals mit allen Seiten, um die Macht der Türkei zu mehren.
In der Nato gilt die Türkei vielen als Störenfried. Daran wird sich nichts ändern?
Kaum. Zwar hoffen viele in der Nato, Erdogan werde nach dem Wahlsieg Milde walten lassen und dem Beitritt Schwedens zustimmen. Sicher ist das nicht. Sicher ist nur, dass für Erdogan die Mitgliedschaft in der Nato ein wesentlicher Machtfaktor ist. Und dass sein völkerrechtswidriger Krieg gegen Kurden in Syrien und Irak bei vielen Nato-Verbündeten weiter für Unmut sorgen wird.
Welche Rolle will Erdogan im Ukraine-Krieg spielen?
Gemeinsam mit der UNO hat Erdogan den Getreidedeal zwischen Russland und der Ukraine vermittelt. Er ist der einzige Staatschef, dem ein solcher Erfolg gelungen ist. Das liegt daran, dass er zu Putin ein gutes Verhältnis pflegt, mit Russland Geschäfte macht, aber gleichzeitig die Ukraine mit Kampfdrohnen versorgt. Und daran, dass die Türkei den Zugang zum Schwarzen Meer kontrolliert. Es ist davon auszugehen, dass Erdogan als Friedensstifter Geschichte schreiben will und die Vermittlungsbemühungen fortsetzen wird.
Wie geht es mit der EU weiter?
Der Flüchtlingspakt sorgt dafür, dass die Türkei die syrischen Flüchtlinge von der EU fernhält. Erdogan scheint daran festzuhalten und einen Teil der Flüchtlinge zurück nach Syrien schicken zu wollen. Er und die EU können gar nicht so schlecht miteinander, obwohl sie sich politisch immer weiter voneinander wegbewegen. Offiziell ist die Türkei seit 1999 EU-Beitrittskandidatin, doch ein Beitritt ist unwahrscheinlicher denn je. Weder ist Erdogan bereit, Zugeständnisse zu machen, noch ist die EU willens, die Türkei aufzunehmen. Wirtschaftlich kann man auch ohne Beitritt voneinander profitieren.
Kann Erdogan seine Macht auf der Weltbühne weiter ausbauen?
Erdogan dürfte seine Doppelstrategie fortsetzen und darauf setzen, dass sie ihm aussenpolitisch weiter Erfolg bringt: als Machtfaktor zwischen Ost und West, als Führungsmacht in der islamischen Welt. Gefährlich werden könnte ihm in Zukunft eine Eskalation des Ost-West-Konflikts, welche die Akzeptanz seiner Doppelstrategie untergräbt. Vor allem aber die wirtschaftliche Schwäche und die gesellschaftliche Zerrissenheit des eigenen Landes. Denn auch für Erdogan gilt: Ohne Macht zuhause kein Einfluss auf der Welt.