SRF: Wie beurteilen Sie die Rede Puigdemonts, ist es eher eine Deeskalation oder eher eine Kampfansage?
Erwin Schmid: Es war vor allem eine Rede voller Widersprüche, die nichts klärt und alles offen lässt. Das zeigen auch die ersten Reaktionen. Viele Anhänger der Separatisten waren auch enttäuscht. Einige warfen Puigdemont sogar Verrat vor.
Aber auch Madrid konnte Puigdemont mit dieser Rede nicht besänftigen. In einer ersten Reaktion hiess es, der katalanische Regierungschef habe sehr wohl implizit die Unabhängigkeit erklärt und man werde entsprechend darauf reagieren. Also von Deeskalation kann heute keine Rede sein.
Puigdemont will den Dialog mit Madrid suchen, das hat er betont. Es klappt aber seit Jahren nicht damit, warum sollte es diesmal anders sein?
Es hiess heute aus Kreisen um Puigdemont, dass es ein Angebot für eine internationale Mediation gäbe. Hier in den Medien wird dabei immer wieder die Schweiz ins Spiel gebracht.
Eine Anfrage beim Aussendepartement EDA in Bern ergab allerdings, dass die Bedingungen der Schweiz für eine solche Mediation nicht erfüllt sind, weil nach wie vor nicht beide Seiten die Schweiz offiziell für eine solche Vermittlung angefragt haben.
Und abgesehen davon gibt es nach der heutigen Rede auch inhaltlich keine breitere Basis für solche Gespräche, weil Puigdemont nicht auf die Unabhängigkeitserklärung verzichtet, sondern sie lediglich aufgeschoben hat.
Nun hat man sich heute eine Entscheidung erhofft, stattdessen gab es nur vage Pläne. Was bedeutet das für die Menschen?
Es bedeutet vor allem, dass die Unsicherheit weiter geht. Die Unsicherheit für die Wirtschaft. Die Rede von Puigdemont ist keine zwei Stunden her, und schon haben weitere Firmen angekündigt, dass sie Katalonien verlassen werden. Aber auch die Leute sind zunehmend verunsichert. Viele bekommen es auch langsam mit der Angst zu tun. Offenbar gibt es schon erste Schlangen vor Bancomaten. Die Leute wollen jetzt ihr Geld abheben.
Die Leute sind zunehmend verunsichert. Viele bekommen es auch langsam mit der Angst zu tun.
Das könnte möglicherweise sogar der Strategie der Separatisten entsprechen, dass man Katalonien politisch destabilisieren will und die Massen weiter gegen Madrid aufwiegeln. Das zumindest steht in einem Strategiepapier der Separatisten, das die Polizei vor drei Wochen bei einer Razzia sichergestellt und heute den Medien zugespielt hat.