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Erneut Proteste in der Türkei Inhaftierter Erdogan-Rivale Imamoglu als Stadtpräsident abgesetzt

  • Der Istanbuler Stadtpräsident Ekrem Imamoglu muss in Untersuchungshaft.
  • Dies hat ein Gericht in Istanbul angeordnet, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtet.
  • Laut türkischem Innenministerium wurde Imamoglu zudem als Stadtpräsident «vorübergehend» abgesetzt.
  • Zuvor waren erneut Tausende zum Protest auf die Strasse gegangen. Dabei gab es über 300 Verhaftungen.

Die «vorübergehende» Absetzung Imamoglus war von vielen in der Türkei befürchtet worden, sie erschüttert das Land aber dennoch. Das türkische Innenministerium verwies zur Begründung auf die Untersuchungshaft, die im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen gegen Imamoglu verhängt wurde. Im Land sorgt die Entscheidung für Empörung und Frust.

Menschen hängen Fahne mit Imamoglus Bild auf.
Legende: Am Wochenende sind wieder Zehntausende Menschen landesweit auf die Strasse gegangen, um gegen Imamoglus Festnahme zu protestieren. Keystone/AP Photo/Francisco Seco

Ein Gericht in Istanbul hatte gegen Imamoglu am Sonntagmorgen Untersuchungshaft verhängt und damit der Forderung der Staatsanwaltschaft entsprochen.

Die Entscheidung erfolgte an dem Tag, an dem ihn seine Partei CHP zum Präsidentschafts­kandidaten wählte. Auf Bildern in Medien waren lange Schlangen vor Wahlboxen zu sehen. Beobachterinnen und Beobachter erwarten eine Ausweitung der Proteste gegen das Vorgehen der Behörden. Die Regierung hat davor bereits gewarnt.

Türkische Behörden warnen Medien

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Die türkische Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologie soll den Kurznachrichtendienst X aufgefordert haben, mehrere Hundert Benutzerkonten von Nachrichtenplattformen, Medienschaffenden und Politikern zu sperren. Dagegen wehre man sich jedoch, teilen die Betreiber von X ebenda mit. X werde die Meinungsfreiheit verteidigen, heisst es weiter.

Zuvor hatte die türkische Medienaufsicht RTÜK Fernsehsendern im Land damit gedroht, ihnen die Lizenz zu entziehen, wenn sie etwas anderes berichten als das, was die Behörden offiziell mitteilen. Bei «unwahrer Berichterstattung» würden Massnahmen wie langfristige Sendeverbote oder gar Lizenzentzug ergriffen, schreibt RTÜK-Chef Ebubekir Sahin auf der Onlineplattform X. Berichten zufolge stellten einige Sender ihre Live-Berichterstattung von Demonstrationen im Land ein.

Imamoglu war am Mittwoch mit Dutzenden weiteren Personen wegen Terror- und Korruptionsvorwürfen festgenommen worden. Die Untersuchungshaft wurde nur im Korruptionsverfahren und nicht im Kontext der Terrorermittlungen angeordnet, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu schrieb.

Imamoglu weist alle Vorwürfe zurück. CHP-Parteichef Özgür Özel sagte, es gebe Hinweise darauf, dass Imamoglu in das Marmara-Gefängnis in Silivri gebracht worden sei.

Imamoglus Partei spricht von «zivilem Putsch»

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Die Partei Imamoglus übt scharfe Kritik an dem Vorgehen und nennt es einen «zivilen Putsch», mit dem Erdogan seinen schärfsten Gegenkandidaten ausschalten wolle. Die Vorwürfe basierten auf fingierten Fakten, hiess es.

Ein Parteimitglied sagte, die Entscheidung des Richters zur Untersuchungshaft sei in der Geschwindigkeit nur machbar, wenn das Urteil bereits in der Schublade liege. Die Partei Erdogans wehrt sich gegen den Vorwurf, die Justiz zu beeinflussen, und nennt die türkische Justiz unabhängig.

Hintergrund der Terrorermittlungen gegen Imamoglu ist laut Anadolu eine Kooperation zwischen der CHP und der prokurdischen Dem-Partei bei den Kommunalwahlen. Über diese Kooperation habe die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK versucht, ihren Einfluss auszuweiten, zitierte Anadolu am Mittwoch die General­staats­anwaltschaft.

Partei wählt Imamoglu offiziell zum Präsidentschaftskandidaten

Neben Imamoglu wurden viele weitere Menschen in Untersuchungshaft geschickt, teilweise aus seinem direkten Umfeld. Insgesamt wird in beiden Verfahren gegen 106 Personen ermittelt. Auch die Bürgermeister der Istanbuler Gemeinden Beylikdüzü und Sisli wurden abgesetzt, in Sisli wurde ein Zwangsverwalter bestimmt.

Das Vorgehen gegen den populären Istanbuler Bürgermeister ist beispiellos und hat in vielen Städten des Landes Zehntausende auf die Strasse getrieben – in Solidarität mit Imamoglu und in Opposition zu Regierung. Dabei kam es zu Hunderten Festnahmen und Zusammenstössen zwischen Polizei und Demonstranten.

Die türkische Polizei setzt Wasserwerfer gegen Protestierende in Istanbul ein.
Legende: In Istanbul setzte die Polizei Pfefferspray gegen Demonstrierende ein. Keystone/Khalil Hamra

Am Abend gab Parteichef Özgür Özel bekannt, dass insgesamt 1.6 der 1.7 Millionen CHP-Mitglieder für den 53-jährigen Imamoglu als Kandidat bei einer künftigen Präsidentschaftswahl gestimmt haben.

Offizieller Kandidat ist Imamoglu erst, wenn die als regierungsfreundlich geltende türkische Wahlbehörde YSK seine Kandidatur bestätigt. Sollten die Ermittlungen bis dahin nicht eingestellt worden sein, ist die Annahme seiner Kandidatur unwahrscheinlich. Zudem wurde Imamoglu in dieser Woche der Universitätsabschluss aberkannt. Die Entscheidung ist noch nicht endgültig.

Ein Abschluss ist Voraussetzung für eine Präsident­schafts­kandidatur in der Türkei.

Protest an Wahlurne ausgedrückt

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Zahlreiche Menschen drückten ihren Protest auch an der Wahlurne aus. Die CHP wollte Imamoglu im Laufe des Tages zu ihrem Präsidentschafts­kandidaten wählen. Zur Stimmabgabe aufgerufen waren die 1.7 Millionen CHP-Parteimitglieder. Auch jeder andere Bürger konnte an symbolischen Stimmzettelboxen in Solidarität mit Imamoglu seine Stimme abgeben. Imamoglu war der einzige Kandidat.

Tagesschau Spätausgabe, 22.03.2025, 22:15 Uhr ; 

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