- Das Asylsystem in der EU wird grundlegend reformiert.
- Nach jahrelangen Diskussionen verständigten sich Vertreter der EU-Staaten und des Europaparlaments final auf entsprechende Gesetzestexte, wie die spanische Ratspräsidentschaft und die EU-Kommission mitteilten.
- Vorgesehen sind zahlreiche Verschärfungen der bisherigen Regeln.
Ziel ist es, die irreguläre Migration einzudämmen. Die Einigung muss noch vom Plenum des Europaparlaments und den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist normalerweise eine Formalität.
Künftig soll es einheitliche Grenzverfahren an den EU-Aussengrenzen geben. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen die Menschen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können.
Einschätzung von EU-Korrespondent Andreas Reich:
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Die EU einigt sich auf eine Reform des europäischen Asylsystems. Das ist politisch bemerkenswert. Noch vor wenigen Jahren war das bei diesem sogenannten «Dauerstreitthema» kaum denkbar. Nun haben unter anderem die hohen Asylgesuchszahlen diesen Entscheid möglich gemacht.
Der Wunsch nach einer Verschärfung des Asylsystems ist politischer Konsens in der EU. Und die Reform wird zu einer Verschärfung führen: Wer aus einem Land stammt, aus dem nur wenige Asylgesuche gutgeheissen werden, soll beispielsweise in Zentren an der Aussengrenze auf den Asylentscheid warten. Die damit verbundene Abschreckung ist politisch gewünscht.
Welchen Effekt die Reform aber auf die Ankunftszahlen haben wird, ist – Stand heute – völlig offen. Denn vieles, was lange versucht wurde, war politisch nicht machbar. So wird es etwa keine verpflichtende Verteilung von Asylsuchenden auf alle europäischen Staaten geben. Länder, die keine Asylsuchenden aufnehmen wollen, können sich mit einer Geldzahlung «freikaufen». Auch regelt die Reform nicht, was mit Personen geschieht, deren Asylgesuch abgelehnt wurde. Denn dafür braucht es funktionierende Abkommen mit den Herkunfts- oder Transitstaaten der Asylsuchenden. Doch dafür präsentiert auch die nun beschlossene Reform keine Lösungen.
Die Verteilung der Schutzsuchenden unter den EU-Staaten wird den Plänen zufolge mit einem «Solidaritätsmechanismus» neu geregelt: Wenn die Länder keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssen sie Unterstützung leisten, etwa in Form von Geldzahlungen. Abgelehnte Asylbewerber sollen künftig leichter in sichere Drittstaaten abgeschoben werden können.
Jahrelange Reformbemühungen
An der Reform wird bereits seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 intensiv gearbeitet. Damals waren Länder wie Griechenland mit der immensen Zahl an Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert und Hunderttausende konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen.
Dies hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der sogenannten Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber da registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten haben. Daraufhin schlug die EU-Kommission erstmals bereits 2016 neue Regeln vor.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, spricht auf X (ehemals Twitter) von einer gemeinsamen europäischen Herausforderung. Die heutige Entscheidung werde es ermöglichen, diese gemeinsam zu bewältigen.
Deutschlands Aussenministerin Annalena Baerbock hat die Einigung auf eine Reform des europäischen Asylsystems als «dringend notwendig und längst überfällig» bezeichnet. Angesichts der Freizügigkeit in Europa brauche es für alle verlässliche Regeln in diesem Bereich, teilte die Grünen-Politikerin in Berlin mit. Erstmals würden die EU-Staaten zur Solidarität verpflichtet, künftig solle es eine europäische Verteilung von Migranten geben.
Erste Reaktionen auf die Asylreform
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Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock bezeichnet die Einigung auf die Reform als «dringend notwendig und längst überfällig». Angesichts der Freizügigkeit in Europa brauche es für alle verlässliche Regeln in diesem Bereich, teilt die Grünen-Politikerin mit. Erstmals würden die EU-Staaten zur Solidarität verpflichtet, künftig solle es eine europäische Verteilung von Migranten geben, betont Baerbock.
Zugleich räumt sie ein, dass sich Deutschland nicht mit allen Anliegen durchsetzen konnte. «Bei der pauschalen Ausnahme von Kindern und Familien aus den Grenzverfahren konnten wir uns als Deutschland nicht durchsetzen. Umso mehr werden wir jetzt in der Umsetzung des neuen Asylsystems darauf achten, dass es fair, geordnet und solidarisch zugeht.»
Auch die konservative Europäische Volkspartei (EVP) begrüsst den Durchbruch. «Endlich wird die europäische Asyl- und Migrationspolitik auf neue Füsse gestellt», erklärt der Fraktions- und Parteivorsitzende, der CSU-Politiker Manfred Weber.
Kritik kam von Ärzte ohne Grenzen. «Heute ist ein katastrophaler Tag für die Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen», erklärt Felix Braunsdorf, Experte für Flucht und Migration bei der Organisation. «Die Europäische Union setzt mit ihrer Asylreform auf Internierungslager, Zäune und Abschiebungen in unsichere Drittstaaten. Das ist ein Kompromiss auf Kosten der Menschenrechte.»
Schwierige Verhandlungen bis zum Schluss
Die Verhandlungen gestalteten sich bis zuletzt als sehr zäh. Während Ländern wie Ungarn die Vorschläge nicht scharf genug waren, äusserten Hilfsorganisationen und Teile von Linken und Grünen Bedenken, dass die Menschenrechte bei den Asylverfahren nicht genügend geachtet würden.
SRF 4 News, 20.12.2023; 09:00 Uhr
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