Zwölf UNRWA-Mitarbeiter sollen laut jüngsten Vorwürfen am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt gewesen sein. Matthias Schmale, der das UNO-Hilfswerk UNRWA im Gazastreifen von 2017 bis 2021 leitete, sagt, dass man bei der Arbeit immer aufpassen müsse. Doch es gebe keine Alternative.
SRF News: Waren Sie überrascht, als Sie von den Vorwürfen der Hamas-Verwicklung einiger UNRWA-Mitarbeitenden gehört haben?
Matthias Schmale: Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es solche Vorwürfe geben würde. Andererseits bin ich nicht überrascht. Im Gazastreifen herrscht eine komplizierte Situation. Ich weiss, dass es innerhalb der UNRWA auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Sympathien für die Hamas gibt.
Ist Entwicklungszusammenarbeit überhaupt möglich in einem Umfeld, in dem Machthaber internationale Werte verletzen?
Die UNO arbeitet, wie auch andere Organisationen, in vielen Gebieten, die von Gruppierungen kontrolliert werden, die sich nicht an internationale Werte und Konventionen halten. Der Ansatz der UNO ist, dass man pragmatische Beziehungen aufbauen muss. Pragmatische Beziehungen bedeuten in keinster Weise eine Übereinstimmung mit der Ideologie. Es geht darum, sich Freiräume zu schaffen als UNO, in denen man unabhängig arbeiten kann.
Wie schafft man den Spagat zwischen dem Einbezug der lokalen Bevölkerung und der Verhinderung solcher Verwicklungen?
Bei der Einstellung werden neue Mitarbeitende aufgefordert, den UNO-Verhaltenskodex zu unterschreiben. Dort wird genau beschrieben, für welche Werte man sich einsetzen muss und wofür die UNO steht. Weiter haben wir ein Monitoringsystem im Management.
Noch wichtiger als das Einstellungsverfahren ist ein gutes Management-Monitoring der Arbeit sowie Trainingsprogramme.
Wir beobachten zum Beispiel sehr genau, wie die fast 9000 Lehrer und Lehrerinnen an den Schulen unterrichten, unter anderem mit unangemeldeten Besuchen. Es geht nicht nur um Terrorakte und Zusammenarbeit mit der Hamas, sondern etwa auch darum, dass die Kinder an den Schulen nicht geschlagen werden. Ich war oft in unseren Schulen und hatte mit vielen unserer fast 13'000 Mitarbeitern Kontakt. Bei weitem die Mehrheit ist den internationalen Werten, für die die UNO steht, verpflichtet.
Gibt es weitere Massnahmen während des Rekrutierungsprozesses?
Wir holen Referenzen ein. Wir überprüfen bei wichtigeren Positionen, zum Beispiel Schulleitern und Schulleiterinnen, in unserem Netzwerk, ob irgendwas bekannt ist, was problematisch ist.
Von den Kapazitäten her sehe ich keine Alternative zur UNRWA.
Wir fordern im Gazastreifen keine polizeilichen oder sonstigen Nachweise an, weil die Hamas keine anerkannte Regierung ist. Wenn wir das machen würden, würden unsere Geldgeber sagen: «Das hat keine Glaubwürdigkeit.» Was aus meiner Sicht noch wichtiger ist als das Einstellungsverfahren, ist ein gutes Management-Monitoring der Arbeit sowie Trainingsprogramme.
Gibt es eine Alternative zur UNRWA im Gazastreifen?
Die Arbeit der UNRWA ist eine ständige Gratwanderung. Man muss immer aufpassen. Aber ich habe versucht darzustellen, dass eine Arbeit in solch einem Gebiet möglich ist. Solange man klar und konsequent seine Arbeit verfolgt und Probleme anpackt, wenn sie auftreten.
Zu meiner Zeit haben wir über eine Million Menschen mit Nahrungsmitteln versorgt. Mittlerweile sind nach den Angaben der UNO zwei Millionen Menschen von Hilfe abhängig. Dazu braucht man Einrichtungen und Personal. Niemand anders hat 12'000 bis 13'000 Mitarbeiter, hat die Lagerhäuser. Von den Kapazitäten her sehe ich keine Alternative zur UNRWA. Wenn die UNRWA nicht die nötigen finanziellen Mittel hat, um die humanitäre Hilfe zu leisten, dann sind die Leidtragenden die zwei Millionen Zivilisten.
Das Gespräch führte Dominique Schlund.