In Mali kontrollieren sie bereits ganze Landstriche und Ortschaften, auch Burkina Faso, Benin und Niger sind in Teilen zu Rückzugs- und Operationsgebieten mehrerer dschihadistischer Terrorgruppen geworden. Sie sind mit dem sogenannten «Islamischen Staat» (IS) oder dem Netzwerk von Al Kaida verbündet. Nachdem nun auch die Regierung in Niger geputscht wurde, droht sich ihr Vormarsch zu beschleunigen. Terrorexperte Hans-Jakob Schindler ordnet ein.
SRF: Welchen Einfluss hat der Putsch in Niger auf die lokalen Terrorgruppen?
Hans-Jakob Schindler: Wir reden hier über die Region, in der im Moment weltweit die grösste geografische Ausbreitung von Al Kaida und dem IS stattfindet. Diese Gruppierungen haben schon enorme Gebiete in Ländern wie Burkina Faso und Mali unter ihre Kontrolle gebracht und haben eine klare Strategie, sich Richtung Süden auszubreiten.
Niger ist jetzt destabilisiert, weil nicht ganz klar ist, wer die Macht im Land hat.
Niger ist jetzt destabilisiert, weil nicht ganz klar ist, wer die Macht im Land hat. Ein Militärcoup erlaubt es Terrorgruppen, wie wir bereits in Mali und Burkina Faso gesehen haben, sich weiter auszubreiten.
Welches Ziel verfolgen die Terrorgruppen?
Ziel ist, einen islamischen Staat zu errichten, entweder nach Ideologie von Al Kaida oder dem IS, und diesen dann als Basis zu nutzen, auch um Anschläge gegen westliche Ziele zu verüben. Diese Region bietet viele Vorteile: Bodenschätze, die jetzt zum Teil schon unter Kontrolle von IS und Al Kaida sind, wie zum Beispiel Gold oder seltene Hölzer. Zudem führt eine der Hauptrouten von Kokain und Haschisch auf dem Weg von Südamerika nach Europa durch die Sahel-Region, und sie liegt auch auf einer der grössten Flüchtlingsrouten. Die Terrororganisationen können diese Flüchtlingsströme ausnutzen. Zudem profitieren die Terrorgruppen von den internen Konflikten in den verschiedenen Ländern.
Worin bestehen diese Konflikte?
Der fundamentale Konflikt in der Region ist jener zwischen den nomadischen Stämmen im Norden und den urbanen Bevölkerungsteilen in verschiedenen Ländern im Süden. Dieser Konflikt wurde seit der Dekolonisierung niemals beigelegt.
Der Sahel ist die erste Region, in der es beiden Terrornetzwerken gelungen ist, in ethnische und kulturelle Kreise einzubrechen.
Die Konflikte wurden durch Al Kaida und den IS in den letzten acht Jahren bewusst instrumentalisiert, um ihre eigene Position zu stärken. Bislang war die Ausbreitung von Al Kaida oder dem IS ausserhalb des Nahen Ostens und Südasiens, also Afghanistans, durch die Dominanz arabischstämmiger Führer eher begrenzt. Der Sahel ist die erste Region, in der es beiden Terrornetzwerken gelungen ist, in ethnische und kulturelle Kreise einzubrechen, die ihnen bis vor ein paar Jahren noch eher verschlossen waren.
Französische und deutsche Truppen sowie die UNO-Mission Minusma sollten die Region stabilisieren, müssen sich aber in mehreren Ländern auf Geheiss neuer Putschregierungen zurückziehen. Zurück bleibt etwa in Mali die russische Wagner-Gruppe. Welche Rolle kommt ihr nun zu?
Die malische Regierung wird im Moment durch Wagner geschützt, auch jene in Burkina Faso. Wagner lässt sich für ihre Dienste in natürlichen Ressourcen bezahlen, also Abbaukonzessionen. Und Wagner geht immer relativ gleich vor.
Wagner ist lediglich ein Instrument, welches das Überleben der Machthaber sichert.
Wenn eine Mine Wagner zugesprochen wird, fährt Wagner da hin und übernimmt. Die Minen werden durch die lokale Bevölkerung genutzt oder betrieben. Und wer da nicht freiwillig geht, der wird erledigt. Insofern ist Wagner nicht die Antwort auf das Terrorismusproblem, sondern lediglich ein Instrument, welches das Überleben der Machthaber in den jeweiligen Ländern sichert.
Welcher Einfluss bleibt für europäische Staaten?
Immer weniger. Denn wir haben auch noch einen extrem wachsenden Einfluss Chinas. Alle diese Länder sind Teil der «Belt and Road»-Initiative. Und all diese Länder haben sowohl wirtschaftliche als auch militärische Verträge mit China abgeschlossen. In der Sahel-Region kondensieren und konzentrieren sich so ziemlich alle Konflikte und politischen Konkurrenzen dieser Welt.
Das Gespräch führte Daniel Glaus.