- «Wir haben den Krieg in Syrien gewonnen», sagte diese Woche der Führer der schiitischen Hisbollah, Scheich Hassan Nasrallah, gegenüber den Medien.
- Mit «wir» meinte er die syrische Armee von Baschar al Assad, an deren Seite die Hisbollah kämpft. Es blieben, so Nasrallah, «nur noch verstreute Kämpfer übrig».
SRF News: Haben Assad und seine Verbündeten den Krieg in Syrien tatsächlich gewonnen?
Daniel Gerlach: Natürlich kann man davon sprechen, wenn man als Kriegsziel voraussetzt, dass Assad und seine Verbündeten bleiben und sich selbst erhalten wollen. In dem Fall kann man sagen, sie haben ihr Ziel erreicht. Wenn man aber davon ausgeht, dass sie vorhaben, das gesamte syrische Territorium zu erobern und den Status Quo von vor dem Krieg wiederherzustellen, dann muss man sagen: Nein, sie haben den Krieg nicht gewonnen. Es wird weitere Kriege geben, und sie kontrollieren auch nicht das Territorium von 2011, vor dem Ausbruch des Krieges.
Assad und seine Leute sind dennoch sehr siegesgewiss. Ist das also reine Rhetorik?
Sie sind siegesgewiss, was ihre eigene Macht anbelangt. Es ging ihnen ja nicht darum, Syrien zu befrieden, sondern darum, den eigenen Machtanspruch zu erhalten, und einen Staatsstreich oder einen militärischen Sturz des Regimes zu verhindern. Das ist gelungen. Man muss aber auch auf die inneren Strukturen des Regimes achten. Dann stellt man fest: Das Regime ist zerfallen. Es ist kein monolithisches System. Es ist ein System aus vielen Warlords und Milizen, die miteinander kooperieren. Letztendlich muss man sich fragen, inwiefern Assad wirklich die Kontrolle über diese ganzen Organisationen hat. Deswegen hat er zwar erfolgreich um sein eigenes politisches Überleben gekämpft. Der Staat Syrien ist aber zerstört und wird so leicht auch nicht wieder aufzubauen sein.
Das war Teil der Kriegslogik des Regimes: Die Bevölkerung zu beherrschen, nicht das Territorium.
2015 hätte ihm das keiner zugetraut. Syrien war weitgehend unter Kontrolle des IS und der Nusra-Front. Wieso ist Assad wieder so stark geworden?
Wenn Sie auf den Machterhalt in Syrien schauen, dann dürfen Sie nicht nur auf das Territorium schauen, sondern auf die Bevölkerung. Oft sind die Karten, die wir vom Konflikt in Syrien sehen, etwas täuschend. Denn wir schauen immer auf Territorien, obwohl wir dahin schauen sollten, wo die Menschen sind. Dem Regime ist es einerseits gelungen, wichtige Stadtzentren und strategische Zentren zu erobern, oder aber die Bewohner aus Gebieten, die es nicht kontrollieren konnte, systematisch zu vertreiben. Das war Teil der Kriegslogik des Regimes: Die Bevölkerung zu beherrschen, nicht das Territorium.
Trotz der Kriegsverbrechen, die ihm vorgeworfen werden, trotz 250'000 Toten in sechs Jahren Bürgerkrieg, ist er nun der starke Mann in Syrien?
Mittlerweile hat die Figur Baschar al Assad für seine Anhänger, aber auch für jene, die ihm eigentlich nicht die Treue halten wollen, aber die keine Alternative sehen, fast schon eine religiöse Form bekommen. Diese Figur ist nicht dazu da, militärische Kommandos zu geben oder politische Visionen zu entwickeln. Sondern um das zu heiligen, was andernfalls einfach nur kriminell wäre. Was die syrischen Nachrichtendienste, Teile der Armee, der Sicherheitskräfte und der Warlords tun, heiligt die Figur Assads. Und das hat fast schon metaphysische bis religiöse Dimensionen. Dass man diesen Präsidenten, der alles überstanden hat und dieses System über Wasser gehalten hat – was auch immer es gekostet hat – erhalten muss, weil man nicht weiss, was danach kommt. Das ist letztlich auch der Punkt, an dem sämtliche internationalen Verhandlungen gescheitert sind.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.