Nach Silvester-Krawallen - Integration in der Schweiz: etwas anders als in Nachbarländern
Nach den Silvester-Krawallen sucht Deutschland nach Gründen – und sieht diese unter anderem bei gescheiterten Integrationsbemühungen, Sozialisationsproblemen und der Wut auf den Staat. Funktioniert die Integration in der Schweiz? Eine Migrationsforscherin ordnet ein.
Was diskutiert Deutschland? Nach Attacken auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht in Berlin und anderen Städten versucht Deutschland, Schlüsse zu ziehen. «Viele Menschen, vor allem Jugendliche, haben das Gefühl, keine Konsequenzen zu spüren. Sie können alles machen, sogar Polizisten angreifen. Das ist kein deutsches Phänomen, sondern eines, das wir europaweit beobachten», sagt Psychologe Ahmad Mansour.
Ausschreitungen in der Silvesternacht
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In der Silvesternacht waren in mehreren deutschen Städten Polizisten und Feuerwehrleute im Einsatz angegriffen worden, unter anderem mit Böllern und Raketen. Besonders heftig waren die Attacken in Berlin. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte im RBB-Inforadio: «Es ist klar, dass wir hier in Berlin in einer Grossstadt eine massive Anhäufung von Problemlagen haben und die Gewalt sich hier besonders entladen hat.» Das sei aber kein reines Berliner Phänomen.
Die Vorsitzenden von CDU und CSU, Friedrich Merz und Markus Söder, werfen der Berliner Stadtregierung eine erhebliche Mitschuld an den Krawallen vor. «Die Chaoten, viele davon mit Migrationshintergrund, fordern mit ihrer Randale den Staat heraus, den sie verachten», sagte Merz.
Alleine in Berlin wurden 18 Beamte verletzt. 145 Menschen wurden vorläufig festgenommen, die meisten davon Männer, wie ein Polizeisprecher sagte. Mindestens 103 der festgenommenen Verdächtigen sind wieder auf freiem Fuss. Es seien insgesamt 18 verschiedene Nationalitäten erfasst worden. 45 der Verdächtigen hätten die deutsche Staatsangehörigkeit. Viele der jungen Männer haben einen Migrationshintergrund. Der Innenminister von Niedersachsen spricht auch von rechtsextremen Tätern.
Die vorwiegend jungen Täter eint der Konsum von Alkohol und Drogen – aber vor allem eine Wut auf den Staat und Sozialisationsprobleme. Ein Mitarbeiter der Polizeigewerkschaft sagte nach den Ausschreitungen, man müsse die Integrationsleistung verbessern.
Mansour: «Müssen Probleme benennen, ohne diskriminierend zu sein»
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Für den Psychologen und Autoren Ahmad Mansour sind die Krawalle kein Phänomen Deutschlands. «Ich erinnere an die Krawalle in Paris, in Brüssel, an die Krawalle 2020 in Stuttgart und Frankfurt, aber auch an viele Ereignisse, die immer wieder in Berlin passieren.»
Die meisten Feuerwehreinheiten, vor allem in Neukölln, würden nicht ohne Polizeischutz zu ihren Einsätzen fahren. «Das sagt schon viel. Wir haben es hier mit Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem Flüchtlingen, zu tun. Menschen, die in Deutschland emotional nicht angekommen sind, die unseren Rechtsstaat verachten, die das Gefühl haben, keine Konsequenzen zu spüren», sagt Mansour. Vor allem Menschen, die aus autoritären Familienverhältnissen kämen oder aus autoritären Staaten, wo die Polizei anders reagiere.
Für den Psychologen bedeutet die Nennung der Herkunft, dem Problem im Kern zu begegnen: «Wir müssen mit unserer demokratischen und politischen Kultur in der Lage sein, Themen und Probleme zu benennen – ohne diskriminierend oder rassistisch zu sein. Ich sage nicht, dass alle mit Migrationshintergrund oder alle Flüchtlinge gewaltbereit sind.»
Aber wenn die Daten da seien, müsse man sie einordnen, führt Mansour aus. «Dann muss man eine Debatte führen. Diejenigen, die diese Debatte verbieten, bringen uns als demokratische Kultur nicht weiter. Die verhindern das. Und unterstützen dabei sogar die Rechtsradikalen, die das Thema für sich beanspruchen. Und die kein Interesse an Lösungen haben, sondern nur politisches Kapital daraus schlagen wollen.»
Wie steht es um die Integrationspolitik in der Schweiz? «Integration funktioniert in der Schweiz tatsächlich relativ gut», sagt Denise Efionayi, Migrationsforscherin, Universität Neuenburg. «Von daher kann man von einem gewissen Erfolg sprechen.»
Dass Integration hier vergleichsweise gut klappt, habe aber generell weniger mit einer spezifischen Schweizer Integrationspolitik als mit den allgemeinen sozio-ökonomischen Voraussetzungen hierzulande zu tun. «Die Schweiz hat bis zur letzten Jahrtausendwende gar keine eigentliche Integrationspolitik gehabt.» Natürlich habe es zuvor eine Zuwanderungs- und Einbürgerungspolitik gegeben. Doch die treibenden Inklusionsfaktoren sieht sie anderswo.
Integration und Inklusion
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Inklusion wird oft mit Integration gleichgesetzt, es sind aber andere sozialpolitische Konzepte.
Dabei bezieht sich Integration auf die Eingliederung von Aussenstehenden in etwas Bestehendes, ohne dass sich grundlegende Rahmenbedingungen ändern.
Von gelungener Inklusion spricht man, wenn jeder Mensch überall und von Beginn an dabei sein kann. Alle Menschen können selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Inklusion betrachtet die Vielfalt und Heterogenität der Gesellschaft als grundlegend und selbstverständlich.
Welche Faktoren sind wichtig? Als wichtigen Integrationstreiber sieht Efionayi die Möglichkeit einer guten Schulbildung und des dualen Bildungssystems der Schweiz. «Öffentliche Schulen sind überall gut, nicht nur in den Quartieren der besonders Privilegierten. Es gibt genügend Bildungsgelder, die Möglichkeit für Sprachkurse oder Nachhilfe», sagt die Migrationsforscherin.
«Zudem bietet das duale Bildungssystem die Möglichkeit, sich auch mit einem Lehrberuf eine höhere Ausbildung offenzuhalten.» Natürlich herrsche auch hierzulande für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund nicht völlige Chancengleichheit. Es gebe aber mehr Möglichkeiten.
Ist der Arbeitsmarkt ein Integrationstreiber? «Die Integration in der Schweiz läuft auch stark über den Arbeitsmarkt – schon immer», betont Denise Efionayi. Die Schweiz sei auf die ausländischen Arbeitskräfte angewiesen, damit die Wirtschaft funktioniere.
«Es gibt eine vergleichsweise tiefe Arbeitslosigkeit.» Das sei in vielen anderen Ländern nicht der Fall. Wie wichtig der Arbeitsmarkt ist, zeigt auch ein Blick in die 1990er-Jahre: «Da kam es durch die sich zuspitzenden Jugoslawienkriege zu einer schlechten Konjunktur in der Schweiz – und zu struktureller Arbeitslosigkeit. Das führte zu Spannungen.»
Hat die direkte Demokratie einen Einfluss? «Die direkte Demokratie ist ein wichtiger Punkt», so die Migrationsforscherin. Probleme würden nicht aufgeschoben und nicht nur von oben herab, von Parteien und Politik, behandelt, sondern auch von Kantonen, Städten und der Bevölkerung.
Das habe man in den 1990er-Jahren gesehen, wo sich in einigen Städten Probleme mit gewissen Bevölkerungsgruppen bemerkbar machten, die wenig Weiterbildungsmöglichkeiten oder Sprachbildung hatten. «Da haben die Städte reagiert und Massnahmen zur Förderung der Teilhabe ergriffen.»
Denise Efionayi-Mäder
Migrationsforscherin
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Denise Efionayi-Mäder ist Projektleiterin und Vizedirektorin am Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien SFM der Universität Neuchâtel.
Ihre Forschungsschwerpunkte liegen bei der Asyl-, Sozial-, Entwicklungs- und Gesundheitspolitik in Zusammenhang mit Migration, neuen Migrationsbewegungen und Sans-Papiers.
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