Die Klimaaktivistin Greta Thunberg löst im Moment viel Empörung aus – auch in den eigenen Reihen. Grund ist ihre propalästinensische Haltung. Am Wochenende zum Beispiel nutzte sie eine Klimademo in Amsterdam, um über den Nahostkonflikt zu sprechen. Könnte Thunbergs Solidaritätsbekundung die Klimabewegung spalten? Es komme auch darauf an, wie relevant Thunberg noch sei, sagt Michelle Beyeler. Sie ist Protestforscherin an der Fachhochschule Bern.
SRF News: Droht der Klimabewegung eine Spaltung?
Michelle Beyeler: Die Spaltung ist möglich. Es muss aber nicht dazu kommen. Es spielt sicher eine Rolle, wie wichtig Greta Thunberg noch ist. Die Bewegung und die Methode sind etabliert. Das Thema ist klar, die Gruppierungen sind organisiert. Es handelt sich um eine länderübergreifende, sehr breite Bewegung, die in verschiedenen Orten gut aufgestellt ist. Eine einzige Person kann die Bewegung nicht grundlegend spalten. Die Frage ist, ob es verschiedene Gruppen gibt, die sich spalten. Es gibt beide Möglichkeiten. Es kann ein Problem werden oder die anderen müssen sich davon distanzieren.
Kann eine Ikone für die Klimabewegung wie Greta Thunberg einer Protestbewegung schaden?
Es kommt darauf an, wie die restlichen Gruppen mitmachen. Das kann auch in unterschiedlichen Gruppen unterschiedlich herauskommen. Wenn die Uneinigkeit zentral und das Thema dominant wird, kann das der Bewegung schaden. Aber grundsätzlich ist die eine Person in einer sozialen Bewegung auch ersetzbar oder sie kann sich auch wieder distanzieren. Oder sie kann das zweite Thema in einer anderen Bewegung organisieren.
Vielleicht müsste Greta Thunberg das Aushängeschild einer Bewegung bleiben.
Falls diese Spaltung kommt und dieses alternative Thema durchgehend und in verschiedensten Konstellationen immer wieder zur Sprache kommt, sehe ich eine Problematik: dass es nicht mehr um Klimapolitik und Klimastreiks geht.
Kann sich eine Bewegung auch von ihrer Identifikationsfigur emanzipieren, weiterentwickeln?
Ja, die Identifikationsfiguren einer Bewegung sind häufig auch ein Stück weit über die Medien gemacht. Wenn das Thema gross genug ist, braucht es die einzelne Person nicht, dann kann eine Bewegung gut überleben. Thunberg hat «Fridays for Future» initiiert und sie hat inspiriert.
Wenn das Thema und die Organisationsstrukturen gut funktionieren, dann braucht es nicht unbedingt die eine Person.
Aber das ist nicht hierarchisch geführt, sie ist weder die Gründerin noch die Chefin dieser Bewegung. Die Identifikation passiert über gemeinsame Einigungen für ein bestimmtes Ziel. Und mit bestimmten Methoden, um dieses Ziel zu erreichen.
Braucht es Greta Thunberg nicht mehr als Aushängeschild von «Fridays for Future»?
Ich kann nicht beurteilen, wie relevant sie ist, um diese Bewegung am Leben zu erhalten. Wenn aber das Thema und die Organisationsstrukturen gut funktionieren und wenn das Konzept weiterhin zieht, dann braucht es nicht unbedingt die eine Person. Aber es ist natürlich auch gut, wenn sie dableibt. Denn sie bringt diese Identifikation mit sich.
Wenn sie noch eine zweite Bewegung anführen möchte, ist die Frage, ob sie diese beiden Hüte wirklich miteinander verbinden kann. Und da habe ich so meine Zweifel. Vielleicht müsste sie das Aushängeschild einer Bewegung bleiben.
Das Gespräch führte Tim Eggimann.