Jahrelang hat Russland den syrischen Machthaber Baschar al-Assad militärisch unterstützt und in Syrien Militärstützpunkte unterhalten. Mit dem Sturz des Assad-Regimes ist die Militärpräsenz nun infrage gestellt, denn Russland verlegt Luftabwehrsysteme ins Bürgerkriegsland Libyen. Die Politikwissenschaftlerin Hager Ali beobachtet als Forscherin die Entwicklung in Nahost und Nordafrika.
SRF News: Frau Ali, was kann man über den Umfang dieser Waffenverlegung sagen?
Hager Ali: Bisher weiss man von mindestens vier Frachtflügen mit Waffen, Personal, aber auch Radaranlagen für Flugabwehrsysteme. Das sind genau die Waffensysteme, bei denen es jetzt im Krieg im Sudan eine enorme Nachfrage gibt.
Über Libyen kommt Russland sehr gut an verschiedene Einflussbereiche in Nordafrika und dem Sahel heran.
Warum weicht Russland von Syrien jetzt nach Libyen aus?
Das hat mit Logistik, Ressourcen und Geostrategie zu tun. Über Libyen kommt Russland sehr gut an verschiedene Einflussbereiche in Nordafrika und dem Sahel heran. So an den Krieg im Sudan, wo Russland beide Kriegsparteien ausstattet und unterstützt und auch am Goldschmuggel beteiligt ist. Im Westen Afrikas, in Mali, Niger und Burkina Faso, gibt es aktuell sehr viele politische Entwicklungen, in denen Russland potenziell mitmischen wird. So etwa in Mali nach der Amtsenthebung des Premierministers vor einem Monat und dem kommissarischen Präsidenten Assimi Goita, der diese Unterstützung brauchen wird, um diese politisch volatile Phase zu überleben. In Niger ist der Truppenabzug Deutschlands und der USA vollendet worden, der ganz zugunsten Russlands ging. Auch in Burkina Faso ist vor zwei Wochen der Premierminister entlassen worden und die Regierung wird umgebildet. Das sind alles politische Hotspots, in denen Russland sich aktiv militärisch, politisch und durch Desinformationskampagnen eingebracht hat.
Was gewinnt Russland, wenn weitere Waffen und Soldaten in Libyen stationiert werden?
Damit verdichtet sich das Netzwerk der Gruppe Wagner auf dem ganzen afrikanischen Kontinent. Russland muss Ressourcen umverteilen, weil der Krieg in der Ukraine Ressourcen braucht. Indem eine neue Basis in Libyen ausgebaut wird, verkürzen sich in Afrika die logistischen Wege für Russland und die Gruppe Wagner, was Ressourcen spart. In den letzten Tagen sind rund 1000 Personen von Syrien nach Libyen verlegt worden. Mindestens 2000 Söldner der Gruppe Wagner befinden sind bereits in Libyen. Und solange im Osten Chalifa Haftar von Russland unterstützt wird, bleibt vor allem die Teilung des Landes festgefahren. Solange das der Fall ist und Russland Interessen hat an einer Präsenz in Libyen, sei es aus logistischen oder machtpolitischen Gründen, bleibt dieser Einfluss zerstörerisch.
Mit der russischen Präsenz in Libyen baut Moskau politisch und militärisch eine südliche Front zur Nato und zur EU aus.
Die Verlegung von russischem Kriegsmaterial nach Libyen löst Besorgnis aus, etwa in Italien – zurecht?
Ja, durchaus, weil mit der russischen Präsenz in Libyen Moskau sowohl politisch als auch militärisch eine südliche Front zur Nato und zur EU ausbaut und sich ein weiteres wichtiges Puzzleteil in der russischen Afrikastrategie sichert. Und das passiert in einem Kontext, in dem sich französische, deutsche und US-amerikanische Truppen ganz aus der Region zurückgezogen haben – geostrategisch zugunsten Russlands. Von der EU und der UNO gibt es Druck, in Libyen auf Wahlen hinzuarbeiten. Und das bietet Moskau die Gelegenheit, in diesem Wahlprozess politisch übergriffig zu werden, ohne aber auf einen direkten Kollisionskurs mit der EU und Nato zu gehen. Das ist enorm besorgniserregend.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.