Übles Erwachen für Premierminister Boris Johnson. Bereits um halb sechs Uhr in der Früh kündigte der konservative Parteivorsitzende Oliver Dowden seinen Rücktritt an. Nach dem Fiasko bei den Nachwahlen müsse jemand die Verantwortung übernehmen, schrieb er und trat mit sofortiger Wirkung zurück.
Ein bisschen viel Drama wegen einer Nachwahl in der englischen Provinz, könnte man meinen. Wakefield und Tiverton and Honton sind lediglich zwei von 650 Wahlbezirken und sicher nicht die Epizentren der britischen Politik. Trotzdem ist die Niederlage für die Konservativen ein Debakel.
Wakefield liegt im postindustriellen Norden. Die Konservativen konnten den Sitz 2019 erstmals erobern und haben diesen nun bereits wieder an Labour verloren. Tiverton im Süden Englands ist seit Jahrzehnten konservatives Stammland. Umso schmerzhafter ist der Sieg der Liberaldemokraten.
Wie weiter mit dem angeschlagenen Premier?
Die Opposition wittert bereits Morgenluft für die kommenden nationalen Wahlen 2024, selbst wenn bei der Interpretation von Lokalwahlen stets Vorsicht geboten ist.
Fairerweise muss erwähnt werden, dass der Anlass für die Ersatzwahlen eher unschön war. Der konservative Abgeordnete in Tiverton musste unlängst zurücktreten, weil er während einer Parlamentsdebatte Pornofilme konsumierte.
Sein Parteikollege aus Wakefield wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er einen 15-Jährigen sexuell belästigt hatte. Keine gute Ausgangslage, aber bei Weitem nicht der einzige Grund für das Debakel.
Die Nase voll
Umfragen zeigen, dass die Britinnen und Briten allmählich genug vom aktuellen Bewohner von Downing Street und seiner Regierung haben. 70 Prozent halten Boris Johnson für einen Lügner. Und es ist längst nicht mehr allein «Partygate» mit der Frage, wer, wo, wann während des Lockdowns ein Bier getrunken hat, welche die Leute umtreibt.
Millionen von Britinnen und Briten leiden unter einer historisch hohen Inflation und wissen nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Sich mit wohlklingenden Versprechen abspeisen zu lassen, genügt ihnen offensichtlich nicht mehr.
«Kein Grund zur Panik»
Boris Johnson reagierte heute Mittag aus weiter Ferne. «Kein Grund zur Panik oder gar für einen Rücktritt», liess er aus Afrika verlauten. Der Premierminister weilt zurzeit in Ruanda, wo sich die Regierungschefs der Commonwealth-Länder treffen.
Johnson, der Anfang Juni ein Misstrauensvotum überlebt hat, sieht zur Stunde auch keinen Grund für eine übereilte Rückkehr in die Heimat. Von Kigali wird er an das G7-Treffen im bayerischen Elmau weiterreisen und danach an den Nato-Gipfel in Madrid.
Wenigstens geografisch ist klar, wohin die Reise des angeschlagenen Premierministers geht.