Israel und die islamistische Hamas haben sich auf eine Waffenruhe geeinigt. Teil des Abkommens ist auch, dass Geiseln im Gazastreifen gegen palästinensische Häftlinge in Israel getauscht werden. Nach aktuellem Kenntnisstand dürfte die Hamas in einem ersten Schritt 33 Israelis freilassen. Im Gegenzug lässt Israel zwischen 990 und 1650 Palästinenser frei. Also ein Israeli pro 50 Palästinenser.
Dieses ungleiche Tauschverhältnis ist für Gerhard Conrad nicht überraschend. Der promovierte Islamwissenschaftler hat jahrelange für den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) gearbeitet und war dort für den Nahen und den Mittleren Osten zuständig. Dabei begleitete er auch Verhandlungen zwischen dem Staat Israel und seinen Feinden wie Hamas oder Hisbollah.
Mehr palästinensische Häftlinge als israelische Geiseln
Alle diese Deals seien ungleichgewichtig gewesen. «Das liegt daran, dass in Israel immer eine hohe Zahl an palästinensischen Sicherheitshäftlingen inhaftiert ist, währenddessen die feindlichen Organisationen meist nur eine geringe Zahl von Gefangenen machen können», sagt Conrad.
Das persönliche Schicksal der Menschen in Geiselhaft stehe bei solchen Verhandlungen nicht im Vordergrund. Die Hamas feilsche je nach Zustand der Geiseln – ob minderjährig, krank oder sogenannt kampffähig, sagt Conrad.
Was den Wert einer Geisel bestimmt
Bestimmend für den Wert einer Geisel seien politische Aspekte und auch wie spektakulär eine Freilassung wäre. «Wenn Sie Geiseln haben, die Angehörige des Militärs sind, dann werden diese vonseiten der Hamas als besonders wertvoll bezeichnet», sagt Conrad. Das heisst, man kann sie gegen «besonders wertvolle Gefangene» in Israel einlösen. «Wenn Sie so wollen, sind das wie Aktienkurse. Sie bestimmen, was man auf dem Markt erlösen kann», sagt der Verhandlungsexperte.
Für die bei den Verhandlungen involvierten Personen sei es wichtig, die Emotionen aussenvor zulassen. Es gehe darum, sich darauf zu verständigen, was durchsetzbar sei und zu einem Abkommen führe, so Conrad. Eigentliche Erzfeinde müssten eine Art Verhandlungspartnerschaft eingehen.
Kompromiss wider Willen
Der Zwang zur (indirekten) Zusammenarbeit sei für die Involvierten manchmal sehr schwer. So könne es etwa israelischen Entscheidungsträgern zutiefst zuwider sein, sich auf Kompromisse einlassen zu müssen. «Wenn sie keine anderen Optionen haben, wenn sie militärisch oder politisch keine Mittel finden, ihren Willen der Hamas aufzuzwingen, dann müssen sie», sagt Conrad.
Bei den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas haben Katar, Ägypten und die USA vermittelt. Laut Conrad müssen Vermittler in solchen Verhandlungen aus den Grundsatzpositionen der verfeindeten Parteien pragmatische Lösungen entwickeln.
In den aktuellen Verhandlungen ging es nicht nur um den Austausch von Gefangenen und Geiseln, sondern auch um das Ende des Krieges und die Zukunft der Hamas. «Das sind rein machtpolitische Elemente. Sie waren auch entscheidend, dass man in den Austauschverhandlungen erst mal überhaupt nicht vorankam», sagt Conrad.
Abkommen tritt am Sonntag in Kraft
Die vereinbarte Waffenruhe soll am Sonntag um 12:15 Uhr Ortszeit beginnen. Mit der Freilassung der ersten Geiseln wird ebenfalls am Sonntag gerechnet. Israelischen Medien zufolge könnte dies um 16 Uhr passieren.
In einer Viertelstunde die Welt besser verstehen – ein Thema, neue Perspektiven und Antworten auf eure Fragen. Unsere Korrespondenten und Expertinnen aus der Schweiz und der Welt erklären, analysieren und erzählen, was sie bewegt. Ihr erreicht uns mit euren Fragen und Inputs per Mail an newsplus@srf.ch oder per Sprachnachricht an 076 320 10 37. News Plus von SRF erscheint jeden Wochentag um 16 Uhr rechtzeitig zum Feierabend.
Um diesen Podcast zu abonnieren, benötigen Sie eine Podcast-kompatible Software oder App. Wenn Ihre App in der obigen Liste nicht aufgeführt ist, können Sie einfach die Feed-URL in Ihre Podcast-App oder Software kopieren.