«Fallschirmjäger aus Iwanowo haben mit mir Kontakt aufgenommen», ist auf dem A4-Blatt zu lesen, das der Oppositionspolitiker nach Angaben seiner Vertrauten Olga Schorina einen Tag vor dem Attentat eilig verfasst haben soll.
Nemzows Mitstreiter Ilja Jaschin sagte, der 55-Jährige habe Hinweise und Dokumente zusammenstellen wollen, die eine Präsenz der russischen Armee in der Ukraine bewiesen und «die Lügen Präsident Putins» aufdeckten.
Poroschenko fühlt sich bestätigt
Die Regierung in Moskau hat wiederholt bestritten, die Separatisten in der Ukraine vor Ort militärisch zu unterstützen. Die Vorwürfe kommen meist aus dem Westen oder von der Regierung in Kiew. Aber auch in Russland kursieren seit einigen Monaten Berichte, wonach viele russische Soldaten im Kampfeinsatz in der Ukraine ums Leben kamen.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte bereits kurz nach dem Mord vor einer Woche gesagt, Nemzow habe Beweise für eine russische Verstrickung in den Konflikt veröffentlichen wollen. «Jemand hatte deswegen Angst. Sie haben ihn umgebracht.»
«Nemzow hatte Angst, dass sein Büro verwanzt war»
Ob das Dokument, das Schorina nun der Nachrichtenagentur Reuters zeigte, authentisch ist, liess sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen. Schorina sagte, Nemzow habe Angst gehabt, dass der Geheimdienst sein Büro verwanzt habe. «Er wollte es nicht laut aussprechen, darum hat er es für mich aufgeschrieben.»
Einen Tag später wurde Nemzow unweit des Kremls mit vier Schüssen in den Rücken getötet. Nach Ansicht von Freunden könnte seine Arbeit zum Ukraine-Konflikt ein Grund für die Ermordung gewesen sein. Die russische Führung hat jegliche Verwicklung in das Attentat zurückgewiesen. Präsident Wladimir Putin bezeichnete Nemzows Tod als eine «schändliche Tragödie». Die Hintergründe der Tat sind ungeklärt.
Bereits acht Berichte veröffentlicht
Nemzow war einer der bekanntesten Kritiker Putins in Russland. Er veröffentlichte insgesamt acht Berichte, die die nach seiner Auffassung herrschenden Missstände unter Putin entlarven sollten. Der Titel des letzten Berichts, an dem er arbeitete, sollte nach Angaben Jaschins «Putin und der Krieg» lauten. Nemzow habe nach eigenen Angaben Kontakt zu Familien russischer Soldaten gehabt, die in der Ukraine getötet worden seien. Er habe vorgehabt, Eltern dieser Soldaten in Iwanowo zu treffen, sagte Jaschin. Die Stadt liegt etwa 300 Kilometer nordöstlich von Moskau. Einheiten der 98. Fallschirmjäger-Division sind dort stationiert.
Auch die Soldaten, die auf Nemzows womöglich letzter Notiz erwähnt werden, sollen den Einheiten angehören. «Bis jetzt haben sie Angst zu sprechen», ist auf dem Zettel zu lesen. Nemzow habe gleichwohl nicht vorgehabt, brisante Neuigkeiten zu veröffentlichen, sagte Schorina. Das meiste Material, das er zusammengetragen habe, sei offen zugänglich. Nach ihrem Wissen habe er vor seinem Tod nur noch ein Inhaltsverzeichnis verfasst. Die anderen Berichte habe er ihr meistens aus dem Gedächtnis diktiert. Sie und Jaschin würden nun versuchen, Nemzows Bericht in einem Monat zu veröffentlichen.