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Netflix-Hit «Adolescence» Dieser Junge sticht ins Herz des Königreichs

Social Media, toxische Männlichkeit und ein grausames Verbrechen: Ein fiktiver Messermord wühlt Grossbritannien auf.

Wer sich auf dem Sofa einmummelt und bei Netflix einloggt, kommt derzeit kaum an «Adolescence» vorbei. Die britische Serie ist der neuste Hit des Streaming-Anbieters: In den ersten zehn Tagen verzeichnete sie bereits 66 Millionen Views.

Die Quote stimmt. Und, glaubt man den Kritikern, auch die Qualität. Der Guardian spricht von der TV-Produktion der letzten Jahrzehnte, «die der Vollkommenheit am nächsten kommt.»

Atemlos, verstörend und schonungslos. Die Mini-Serie schafft etwas, das im unablässigen Streaming-Strom Seltenheitswert hat: Sie rieselt nicht vorbei, sondern hallt nach. Und hält einer ganzen Gesellschaft den Spiegel vor.

Der Plot: Eine Teenagerin wird auf einem Parkplatz auf bestialische Weise niedergestochen, schnell gerät ihr 13-jähriger Mitschüler Jamie unter Verdacht. Die Beweislast ist erdrückend. Doch die Tat bleibt rätselhaft: Was trieb den schüchternen Jungen zu einer Bluttat, die jedes Vorstellungsvermögen sprengt?

Das Monster mit Milchgesicht

Die vier Folgen kommen ohne Schnitt aus. Das Geschehen ist hektisch und ruhelos, und lässt den Zuschauer sprachlos zurück. Genauso wie die Protagonisten: Die Eltern, deren Sohn unter Mordverdacht steht. Die Ermittler, die nach einem Motiv für das Unaussprechliche suchen. Lehrerinnen und Mitschüler, gefangen in einem Schulalltag, der einem Überlebenskampf gleicht.

Jamie Miller
Legende: Jamie empfindet sich als minderwertig und hässlich – und greift zu roher Gewalt? Die Serie wirft nicht nur diese Frage auf. Sie durchleuchtet, wie sich Aussenseiter in wahnhaften Denkmustern verlieren, bis sie zum Äussersten bereit sind. Netflix

Die Serie nimmt Themen auf, die längst traurige Realität sind – nicht nur in Grossbritannien. Die grassierende Messergewalt unter Jugendlichen. Das toxische Männerbild, das Influencer wie der ehemalige Kickboxer Andrew Tate verbreiten. Das Mobbing, das sich auf den sozialen Medien vollzieht und die «Adolescence», das «Heranwachsen», zum Horrortrip macht.

«Männlichkeitspropheten» auf Tiktok – was können Eltern tun?

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Andrew Tate
Legende: Andrew Tate (vorne) und seinem Bruder wird in Rumänien Menschenhandel und Vergewaltigung vorgeworfen. Mit seinen frauenfeindlichen Posts und Videos erreicht er ein Millionenpublikum. Getty Images/Andrei Pungovschi

Kein Wunder, verstört die Serie auch viele Eltern – und weckt Ängste. Was sehen unsere Kinder in den sozialen Medien, in welche Welt werden sie heute hineingeboren? Markus Theunert leitet die Fachstelle männer.ch. Gegenüber «10vor10» erklärt er, dass die Sorgen der Eltern durchaus berechtigt sind.

«Es gibt Untersuchungen, dass Jungs auf Plattformen wie Tiktok mit frauenfeindlichen Alpha-Männlichkeitspropheten konfrontiert sind», sagt Theunert. Die Inhalte würden schnell den Newsfeed dominieren – entsprechend gross sei die Beeinflussungschance.

Genau hier seien die Eltern gefragt, sagt Theunert. Von Anfang an solle den Buben mitgegeben werden: Du darfst so Mann sein, wie es dir passt. «Wenn sie auf Andrew Tate abfahren, ist es eigentlich schon zu spät. Es ist ein Hilferuf, eine Bitte um Orientierung, Unterstützung und Begleitung.»

Einmal fällt der Satz in der Serie, es sei «echt irre, was in so einem kindlichen Gehirn vor sich geht.» Eine Gutachterin versucht, zu Jamie vorzudringen. Tatsächlich öffnet er sich – bevor er die Psychologin niederschreit und schliesslich um ihre Zuneigung bettelt. Es ist eine der vielen Szenen der Serie, die nur schwer zu ertragen sind.

Jamie mit Gutachterin
Legende: In der Serie wird Jamie auf Instagram als «Incel» lächerlich gemacht – also als jemand, der unfreiwillig ohne Sex lebt. Dafür reichen ein paar Emojis unter seinen Posts, die die Erwachsenen nicht entziffern können. Netflix

Die Serie löst eine Debatte aus, bis in die britischen Medien und Politik. Auch, weil in den letzten Jahren zahlreiche Gewaltakte von Teenagern und jungen Männern das Land erschütterten, die sich von Mädchen zurückgesetzt fühlten.

Aufsehenerregende Mordfälle in Grossbritannien

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Beileidsbekundung nach dem Messermord in Hexham.
Legende: Beileidsbekundung nach dem Messermord in Hexham. Getty Images/Owen Humphreys

In Portsmouth griff 2021 ein 22-Jähriger zur Waffe und tötete fünf Menschen. Online hatte er sich in der «Incel Community» bewegt und hasserfüllte Kommentare gegen Frauen abgegeben.

Vor zwei Jahren tötete ein 16-Jähriger seine gleichaltrige Ex-Freundin in Hexham im Norden Englands – er stach eine Minute lang auf sie ein. Als Motiv gab er Eifersucht an.

Im selben Jahr erstach ein Teenager im Süden Londons eine 17-Jährige, weil sie auf dem Heimweg von der Schule keine Blumen von ihm annehmen wollte.

Jack Thorne, einer der Schöpfer der Serie, sagte gegenüber der BBC: «Ich will, dass ‹Adolescence› in den Schulen und im Parlament gezeigt wird. Es muss etwas geschehen, denn es wird immer schlimmer.»

Die Gewalt junger Männer, befördert durch das, was sie online aufsaugen, ist ein reales Problem.
Autor: Keir Starmer Britischer Premierminister

Die «Times of London» rät Eltern, sich die Serie anzutun. Der britische Premierminister Keir Starmer hat es gemacht, gemeinsam mit seinen beiden Teenager-Söhnen. Sein Fazit: Die Serie ist ein Weckruf.

«Die Gewalt junger Männer, befördert durch das, was sie online aufsaugen, ist ein reales Problem», sagte Starmer im Parlament in London. «Wir können das nicht einfach schulterzuckend hinnehmen.»

Gareth Southgate, der ehemalige Trainer der englischen Fussball­national­mannschaft, warnt schon länger: Immer mehr Jungen fühlten sich isoliert und würden sich in den sozialen Medien verlieren.

«Dort werden sie von toxischen Influencern manipuliert, die ihnen sagen, dass die ganze Welt gegen sie ist, insbesondere die Frauen», so Southgate. «Und dann zeigen sie ihnen, wie sie sich davon befreien können: durch Geld, Dominanz und den Glauben daran, dass es wahre Stärke ist, wenn ein Mann keine Emotionen zeigt.»

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10vor10, 26.3.2025, 21:50 Uhr;stal

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