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Neue Chance für Randständige Zurück ins Leben – als Tourguide in Edinburgh

Randständige haben viel zu erzählen. In Edinburgh führen sie Touristinnen und Touristen durch die Stadt. Sie schaffen Verständnis für randständige Menschen und bekommen so wieder Anschluss.

Job weg. Geld weg. Wohnung weg. Es ist ein Teufelskreis, in den viele Randständige hineingeraten sind. Einen Ausweg finden sie nur mit grossen Schwierigkeiten.

Jason Cunningham hat den Neuanfang geschafft. Seit bald eineinhalb Jahren führt er mehrmals wöchentlich Besuchende durch die schottische Hauptstadt.

Person in schwarzer Kleidung spricht mit zwei Menschen auf einer nassen Strasse.
Legende: Jason Cunningham wollte schon früher Tourguide werden. Doch er dachte, er könne sich die Lizenz nicht leisten. SRF / Michael Gerber

«Herzlich willkommen in Edinburgh. Ich bin Jason. Und ich freue mich, euch meine Stadt zu zeigen», begrüsst der 52-Jährige ein Besucherpaar aus den Niederlanden auf dem Grassmarket, unterhalb des Schlosshügels. Er holt weit aus: «Edinburgh hatte früher eine Befestigungsmauer, da vorne. Sie führte nach Süden – vom Schloss her den Berg herunterkommend.»

Tourguide-Lohn und Sozialhilfe

Jason Cunningham hat schwere Zeiten hinter sich. Nach der Schule verpatzte er den Einstieg ins Berufsleben, lebte von Gelegenheitsjobs, wurde drogensüchtig und obdachlos.

Strassenszene mit Fussgängern und historischen Gebäuden.
Legende: 150 Menschen haben durch das Hilfswerk den Wiedereinstieg gefunden. SRF / Michael Gerber

Inzwischen hat er wieder ein Dach über dem Kopf, in einer kleinen Sozialwohnung. Die Drogen hat er hinter sich gelassen. Er bekommt Sozialhilfe. Und mit den Touren verdient er monatlich umgerechnet 600 Franken im Durchschnitt. «Es war viel los, im Sommer. Jetzt ist es ruhiger. Bestimmt haben wir über die Festtage wieder mehr Leute.»

«Invisible Cities» hat schon 150 Guides ausgebildet

Jason Cunningham ist einer von 20 Tourguides, die das Hilfswerk «Invisible Cities» gegenwärtig beschäftigt. Die Idee dazu hatte Zakia Moulaoui. Sie will Randständigen und ehemaligen Obdachlosen mit den Stadttouren beim Wiedereinstieg helfen. «Wir bieten ihnen die Möglichkeit, wieder zu arbeiten und dabei ihr Selbstvertrauen zu stärken. Als Guides geben sie den Besuchenden einen tiefen Einblick in die Stadt. Und das Geld der Besuchenden dient einem guten Zweck.»

Frau mit Schal auf städtischer Strasse.
Legende: Zakia Moulaoui hat «Invisible-Cities» gegründet. Seit 2018 gibt es die Tourguides auch in anderen Städten. SRF / Michael Gerber

Zakia Moulaoui erzählt, wie sie ihre Guides auf die ersten Touren vorbereitet und sie auch danach eng begleitet – auf dem Weg zurück ins Leben. «Es kann sein, dass sie wieder Kontakt aufnehmen wollen zu ihren Kindern. Oder dass sie eine Stelle suchen oder eine Ausbildung machen möchten.»

Das Hilfswerk hat seit 2016 rund 150 Randständigen beim Wiedereinstieg geholfen. Es ist heute neben Edinburgh und Glasgow auch in England und Wales aktiv.

Touren schaffen Verständnis für Randständige

Die Tourguides verlassen die klassischen Routen und reden dabei über ihre Lebenswelten. «Bei meiner Tour geht es um Verbrechen und Strafe», sagt Guide Sonny Murray, der eine bewegte Zeit als Drogenabhängiger hinter sich hat. Murray hat seine Tour selbst zusammengestellt. «Ich zeige alte Gefängnisse, alte Galgen oder so. Aber ich zeige auch gerne die sozialen Unternehmen oder Hilfswerke, die randständigen Menschen helfen», sagt Murray bei einem kurzen Halt vor dem Grassmarket-Community-Center in Edinburgh. «Als ich selbst obdachlos war, kam ich oft hierher. Hier gibts Essen.»

Menschen spazieren durch einen Torbogen in einer alten Stadt.
Legende: Die Tourguides bieten andere Einblicke in die Stadt – und das Geld kommt einem guten Zweck zugute. SRF / Michael Gerber

Murray versucht bei den Besuchenden Verständnis zu wecken für Menschen, die heute am Rand der Gesellschaft ums Überleben kämpfen. Auch Jason Cunningham ist als Guide in seinem Element. Man spürt, wie gerne er seine Arbeit macht. «Mir hätte schon früher gefallen, Tourguide zu sein. Vor Jahren habe ich mich mal erkundigt und glaubte danach, man müsse studieren und eine Lizenz kaufen – für Tausende von Pfund – was ich mir nie hätte leisten können.»

Nun hat er es auch ohne Studium und Lizenz geschafft – und freut sich auf viele weitere Touren.

10vor10, 13.12.2024, 21:50 Uhr

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