«Sie haben zu Unrecht Kinderzulagen für die Kita bezogen. Bitte zahlen Sie innerhalb von zwei Wochen 32'000 Euro zurück.» Für Nazyme, die schwanger war von ihrem dritten Kind, sei eine Welt zusammengebrochen, erzählt sie in einem Dokumentarfilm.
Zehntausende niederländische Erziehungsberechtigte bekamen in den letzten Jahren ähnliche Schreiben. Fast immer ging es dabei um sehr hohe Beträge, die die vermeintlich betrügerischen Väter und Mütter in kürzester Zeit rückerstatten mussten. Sie wehrten sich, machten Einsprachen, gingen gerichtlich gegen die Behörden vor. Aber es half nichts, als die Klagen selbst vom höchsten Verwaltungsgericht abgewiesen worden waren, mussten die Betroffenen die Summen rückvergüten.
Sie verloren auch die Kinder
Die Urteile stürzten etliche Mütter und Väter in den totalen Ruin. Sie verloren nicht nur Wohnung und Arbeit – auch ihre Kinder wurden ihnen abgenommen, weil die Behörden der Meinung waren, dass Eltern, die Kita-Geld ergaunern, nicht für eine adäquate Erziehung sorgen können.
Im Verlauf der letzten etwa 15 Jahre berichteten niederländische Medien sehr viel über die geschädigten Eltern. Aber die Regierung in Den Haag begriff das enorme Ausmass des ganzen Skandals erst nach einem vor Jahresfrist publizierten Rapport – und trat prompt zurück.
Konsequente Anwendung strenger Gesetze
Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe Untersuchungen, die zeigen, dass vielen Beamtinnen und Beamten das menschliche Mass abhandengekommen war. Nicht die Bürgerinnen und Bürger standen bei den Instanzen im Vordergrund, sondern die konsequente Anwendung der sehr strengen, komplizierten Gesetze.
Zudem wurde bekannt, dass die Steuerbehörden mit einer schwarzen Liste mit mehr als 270'000 potenziellen Betrügerinnen und Betrügern hantierten. Um darin aufgenommen zu werden, reichte ein Antrag bei einer Kita, deren Betreiber einen ausländischen Namen trug.
Viele Geschädigte warten noch immer auf ihr Geld
Erschrocken über das verheerende Ausmass der behördlichen Handlungen, versprach der neue und alte Premier Mark Rutte den Betroffenen eine rasche Aufarbeitung des Skandals. Das war vor einem Jahr. Doch nach den Wahlen im März folgten monatelange Koalitionsgespräche – die längsten in der Geschichte der Niederlande. Diese hatten auch zur Folge, dass eine Mehrheit der Geschädigten bis heute auf ihr Geld wartet.
In der neuen Regierung, die zur Hälfte aus Frauen besteht, wurde ein spezieller Posten für die Abhandlung der Kindergeldaffäre geschaffen. Allerdings ist die dafür verantwortliche Staatssekretärin Mitglied der rechtsliberalen VVD von Mark Rutte, also just jener Partei, die massgeblich am Zustandekommen der scharfen Gesetze beteiligt war.
Der Weg zur Besserung sei lang und beschwerlich, sagte Nazyme im Dokumentarfilm. Einzig und allein mit Geld könne der ganze angerichtete Schaden nicht wiedergutgemacht werden.