Saudi-Arabien ist ein streng religiöses, zutiefst konservatives Land. Nur ganz vorsichtig werden die Hürden, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, für Frauen gesenkt. Zuerst kam die Möglichkeit des Autofahrens. Und nun wurde bekannt, dass Frauen künftig einen Reisepass beantragen und somit auch das Land verlassen dürfen. Diese kleinen Schritte gehören zu einer Strategie der Öffnung von Kronprinz, Mohammed bin Salman, erklärt die Journalistin Susanne Koelbl.
SRF News: Wie revolutionär ist es, dass saudische Frauen einen Pass beantragen dürfen?
Susanne Koelbl: Für saudische Verhältnisse ist das definitiv revolutionär, wenn eine Frau entscheidet, wo sie sich aufhält und ob sie sogar das Land verlässt – also aus dem Kontrollbereich ihres Vormunds geht.
Ist diese Vormundschaft durch ein männliches Familienmitglied – Vater, Bruder, Ehemann oder sogar der Sohn - nun tatsächlich beendet?
Nein. Die Reisebestimmung ist nur ein – allerdings grosses – Element des Vormundschaftsgesetzes, das in Teilen bereits ausser Kraft gesetzt wurde. Zum Beispiel können sich Frauen inzwischen selbst eine Wohnung oder eine Anstellung suchen. Andere Bereiche bleiben eingeschränkt.
Man gibt diese Vormundschaft also nur stückweise aus der Hand.
Die Männer hatten bisher absolute Kontrolle über die Frau – durch das Gesetz und die Tradition. Und die Religion rechtfertigt das.
Den Männern wird plötzlich die Macht aus der Hand gerissen.
Wenn man dies nun von heute auf morgen ausser Kraft setzt, dann ist das aus unserer Sicht vielleicht wünschenswert – aber den Männern wird plötzlich diese Macht aus der Hand gerissen.
Akzeptieren die Männer dies?
Sie haben keine andere Wahl. Es ist mutig von Kronprinz Mohammed bin Salman, der – wie wir wissen – auch andere Seiten hat. Er wagt, was vor ihm niemand gewagt hat. Er will die Gesellschaft ändern, das Land öffnen, die Kapazität der gut ausgebildeten Frauen nutzen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Und wer dagegen aufbegehrt, wird die eiserne Faust des Regimes zu spüren bekommen.
Gleichzeitig geht der Kronprinz gegen Frauenrechtlerinnen hart vor. Ein Widerspruch?
Der Fall dieser Frauen erfordert mehr Aufmerksamkeit. Sie haben nichts anderes gefordert, als dass sie über sich selbst bestimmen können. Es sind keine Revolutionärinnen. Sie haben einfach das formuliert, was für uns eine Selbstverständlichkeit ist. Sie haben sich eingesetzt für Menschen- und Frauenrechte. Dass sie verhaftet und im Gefängnis gefoltert wurden, geht tatsächlich nicht zusammen mit der Öffnung.
Die Strafe ist eine Demonstration der Macht.
Aber es handelt sich hier um einen absoluten Herrscher, von dem man nichts fordern darf, sondern nur erbitten. Es ist also eine Art Majestätsbeleidigung, wenn sie Gesetze und Traditionen durch Forderungen ausser Kraft setzen wollen. Die Strafe ist somit eine Demonstration der Macht.
Kann Druck von Seiten des Auslands etwas bewirken?
Der Kronprinz ist sehr empfindlich, was persönliche Kritik betrifft. So haben Journalisten lange gezögert, von den verhafteten Frauen zu berichten. Sie befürchteten, dass die Frauen bestraft würden, weil sie Aufmerksamkeit in den ausländischen Medien und Kritik am Land erregen.
Es geht um Milliardengeschäfte. Und die will sich niemand kaputt machen.
Nun ist es aber raus, und man sollte den Fall ansprechen, weil ja den Frauen drakonische Strafen wegen Landesverrats drohen. Der Einzige, der aber einen Hebel hat, ist US-Präsident Donald Trump. Andere Länder sind nicht genug einflussreich. Aber die USA sprechen die Grund- und Menschenrechte nicht mehr an. Es geht um Hunderte von Milliarden Investitionen und Rüstungsgeschäfte. Und die will sich niemand kaputt machen.