Nach Berlin wollte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius schon immer. Nun ist die Chance da – aber der Preis hoch: Pistorius soll Verteidigungsminister werden. Und endlich Ruhe in den Laden bringen, das Ministerium reformieren, Deutschland wieder verteidigungsfähig machen.
Das ist eine grosse Aufgabe, sein Privatleben wird Pistorius an der Garderobe des Bendlerblocks, wo das Verteidigungsministerium in Berlin seinen Sitz hat, abgeben müssen. Im März wird er 63 Jahre alt – falls er schon eine Party geplant hat, wäre es wohl besser, sie jetzt abzusagen. Verteidigungsminister ist ein 24-Stunden-Job. Eine seiner Vorgängerinnen, die heutige EU-Kommissionspräsidentin (und ebenfalls Niedersächsin) Ursula von der Leyen, hat sogar im Ministerium gewohnt. Anders sei es nicht gegangen. Einkaufen, Wäsche waschen, all das, wofür man plötzlich keine Zeit mehr hat. Da ist es viel einfacher, ins Büro zu ziehen.
Mann aus dem «Bundeswehrland»
Die Personalie Pistorius könnte für Bundeskanzler Scholz ein Erfolg werden. Nach der glücklosen Besetzung von Christine Lambrecht fiel deren Misserfolg auch auf den Kanzler zurück. Lambrecht interessierte sich kaum für die Bundeswehr, fast schon legendär ist ihre Weigerung, die Dienstgrade auswendig zu lernen.
Bei Pistorius ist das anders. Er hat gedient, kommt aus Niedersachsen, wo die Bundeswehr sehr präsent und in der Bevölkerung verwurzelt ist, die meisten Standorte unterhält. Niedersachsen ist Bundeswehrland – auch viele der bisher gehandelten Favoritinnen und Favoriten kommen aus Niedersachsen, zum Teil aus Bundeswehr-Familien.
Schwierige Startvoraussetzungen
Bleibt die Frage nach der politischen Macht, die Pistorius vom Kanzler erhält. Der Vorteil von Lambrecht war ja: Der Kanzler entscheidet, die Ministerin macht brav Notizen und vollzieht. Pistorius wird da einen anderen Anspruch haben. Doch schafft er es, sich durchzusetzen? Er hat in Berlin keine Hausmacht, kein Bundestagsmandat und somit keinen Einfluss auf die Fraktion. Pistorius ist komplett vom Kanzler abhängig. Die CDU-Opposition moniert schon: Pistorius sei zu schwach. Aber von der Opposition ist auch nicht zu erwarten, dass sie die Benennungen des SPD-Kanzlers lobt.
Pistorius wird Verteidigungsminister in Kriegszeiten. Er muss schon diese Woche wichtige Entscheidungen treffen – am Freitag in Ramstein jenen über die Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine. Dort trifft sich die Ukraine-Kontaktgruppe aus Nato- und EU-Ländern. Pistorius muss einen Kaltstart hinlegen, wie man ihn hier in Deutschland selten gesehen hat.
Ein harter Job
Und das ist nur der politische Teil. Die Bundeswehr ist fast tot gespart, es fehlt an allem. Die Machtstrukturen sind kompliziert, das Beschaffungswesen auch. Es gibt viel zu tun, die Leistung muss fast übermenschlich sein.
Wer also ein Beispiel sucht für den härtesten Job Berlins: Den hat künftig Boris Pistorius. Entweder er geht dabei unter oder er wächst über sich hinaus.