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Neutralität auf dem Prüfstand Schweizer Munition für Gepard-Panzer: Deutschland macht Druck

Berlin klopft erneut wegen Munition für die Ukraine an. Bundeshausredaktor Dominik Meier über die Diskussionen in Bundesbern.

Deutschland versucht es erneut: Die Regierung will Schweizer Munition in die Ukraine weitergeben. Diese ist für den Flugabwehr-Panzer Gepard vorgesehen. Letzte Woche hat sich die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht erneut an die Schweiz gewandt, wie die Tamedia-Zeitungen berichteten.

Der Bundesrat hat bei der ersten Anfrage im April seine Position klar gemacht: Die Wiederausfuhr von Waffen und Munition in ein Kriegsgebiet sei nicht mit der Neutralität vereinbar. Doch nun gibt es Stimmen, die sagen, eine solche Weitergabe sei sehr wohl neutralitätskonform.

Rechtliche und politische Abwägungen

«So glasklar wie der Bundesrat es sagt, ist es tatsächlich nicht», sagt SRF-Bundeshausredaktor Dominik Meier. Denn das internationale Neutralitätsrecht enthält keine Bestimmungen zur Weitergabe von Waffen oder Munition. Das Schweizer Kriegsmaterialgesetz wiederum regelt nicht, ob und wann die Schweiz ein Weitergabeverbot wieder streichen darf.

Das Kriegsmaterialgesetz bezweckt im Grundsatz, dass keine Schweizer Waffen an Kriegsparteien gelangen dürfen. Politisch gewertet spricht das gegen eine Weitergabe.
Autor: Dominik Meier Bundeshausredaktor von Radio SRF

Theoretisch habe der Bundesrat Handlungsspielraum, schätzt Meier. «Allerdings bezweckt das Kriegsmaterialgesetz im Grundsatz, dass keine Schweizer Waffen an Kriegsparteien gelangen dürfen. Politisch gewertet spricht das gegen eine Weitergabe.»

Ein Gepard Panzer in einer Kaserne.
Legende: Für den Betrieb der Gepard-Panzer könnte die Schweizer Munition durchaus einen Unterschied machen: Denn bislang hat Deutschland die geringe Menge von 6000 Schuss für die Panzer geliefert. Bestände aus Schweizer Produktion wären immerhin doppelt so gross, nämlich über 12'000 Schuss. IMAGO/Archiv/Sven Eckelkamp

Lambrecht argumentiert in ihrem Brief an die Schweiz, dass die Ukraine die Munition für den Schutz seiner Schwarzmeer-Häfen brauche. Konkret, um seine Getreidelieferungen an Entwicklungsländer vor russischen Angriffen zu schützen.

Berlin argumentiert moralisch

Hat dieser Verwendungszweck einen Einfluss auf die Frage, ob die Lieferung neutralitätskonform sei? «Juristisch kaum, moralisch aber durchaus», sagt Meier. «Denn es erhöht den Druck auf die Schweiz.»

Der Bundeshausredaktor hat die Frage mit der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des deutschen Bundestags erörtert. Die Position von Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Hilft die Schweiz nicht, Getreideexporte zu schützen – dann hilft sie indirekt Russland, die ärmsten Länder aushungern.

Strack-Zimmermann im Bundestag
Legende: Strack-Zimmermann gegenüber SRF News: «Putin möchte die westliche Welt zerstören. Wenn das nicht militärisch gelingt, versucht er es auf anderem Weg. Er weiss genau: Menschen, die verhungern oder kurz vor dem Verhungern sind, gehen dorthin, wo sie vermuten überleben zu können – und das ist Europa.» Keystone/DPA/Kay Nietfeld

Ein Einlenken der Schweiz ist aber unwahrscheinlich. Meier hat sich in Bundesbern umgehört. «Diese Gespräche zeigen mir, dass der Bundesrat trotz dieses Drucks bei seinem Nein bleiben dürfte.» Erst letzten Mittwoch bestätigte die Landesregierung ihre Praxis in einem offiziellen Bericht zur Neutralität ausdrücklich. Zudem will mit der Mitte derzeit nur eine Partei die Munition freigeben.

Ein Ablenkungsmanöver aus Berlin?

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Ist die Kritik an der Schweiz ein Ablenken von den Deutschland-internen, erbitterten Diskussionen über die Lieferung von Angriffswaffen an die Ukraine? Auch in Bundesbern wird dieser Verdacht regelmässig laut, berichtet Meier. «Das leuchtet mir aber nur bedingt ein. Die Ukraine selbst verlangt ja selbst mehr Gepard-Munition.» Zudem sei die Debatte um die Schweiz in Deutschland auch nicht so dominierend, dass sie Grundsätzliches überschatte.

Deutsche Parlamentarierinnen und Parlamentarier üben gemäss den Tamedia-Zeitungen Druck auf die Schweiz aus: Wenn sie nicht einlenke, werde Deutschland künftig kaum mehr Rüstungsgüter in der Schweiz kaufen.

Einbruch der Rüstungsexporte?

Strack-Zimmermann gibt sich zurückhaltender. Aber: «Wenn wir bestimmte Waffen haben, die für die Nato existenziell sind und die Munition in der Schweiz hergestellt wird und sie diese nicht zur Verfügung stellt – dann muss man darüber nachdenken.» Das sei keine Drohung, sondern eine nüchterne Folge dessen, was gerade passiere.

Meier schliesst: «Die ‹Gefahr› für die Schweizer Rüstungsindustrie ist real.» Und diese Gefahr sehen auch bürgerliche Sicherheitspolitiker im Ständerat. Sie wollen prüfen, ob europäische Staaten Schweizer Waffen und Munition künftig weitergeben dürfen. Dabei ginge es aber um künftige Lieferungen und um nicht den aktuellen Fall.

Echo der Zeit, 31.10.2022, 18 Uhr ; 

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