Damit hat kaum jemand gerechnet: Am Tag nach den Regionalwahlen hat der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez in einer Fernsehansprache angekündigt, dass die nationalen Wahlen nicht wie vorgesehen im Dezember, sondern bereits in knapp zwei Monaten – am 23. Juli – stattfinden werden.
Verzweifelte Aktion des Regierungschefs?
Die überraschende Ankündigung könnte interpretiert werden als der verzweifelte Versuch des Regierungschefs, die Niederlage mit einem Themenwechsel aus den Schlagzeilen zu verdrängen. Tatsächlich sind Sánchez' Sozialistische Arbeiterpartei PSOE und ihre linken Koalitionsparteien empfindlich getroffen worden. In fast allen wichtigen Städten und Regionen haben sie verloren.
Grosse Siegerin ist hingegen die konservative Volkspartei, die Partido Popular unter der Führung von Alberto Nuñez Feijóo. Sie hat ihren Stimmenanteil im Vergleich zu den letzten Regionalwahlen vor vier Jahren insgesamt um über neun Prozentpunkte auf 31.5 Prozent gesteigert und damit Sánchez' PSOE vielerorts als stärkste Kraft abgelöst. Kommt hinzu, dass auch die rechtsnationalistische Vox klar zulegen konnte (auf gut sieben Prozent).
Opposition fehlt die Zeit, den Sieg zu geniessen
Die Ankündigung der Neuwahlen dürfte auch Oppositionsführer Feijóo etwas in Quere gekommen sein. Er konnte seinen Sieg in der Öffentlichkeit noch kaum richtig auskosten und musste schon wieder in den Wahlkampfmodus wechseln. Trotzdem startet er mit viel Rückenwind in die Wahlkampagne – der grosse Sieg bei den Regionalwahlen könnte sich durchaus als Auftakt für einen nationalen Machtwechsel in Spanien herausstellen.
Ganz abschreiben sollte man die linke Regierung allerdings noch nicht. Obwohl die Regionalwahlen als Gradmesser für die nationalen Wahlen gelten – Untersuchungen zeigen auch, dass viele Wählerinnen und Wähler bei den unterschiedlichen Gelegenheiten ihre Stimme nicht derselben Partei geben.
Die Linke müsste sich zusammenraufen
Kommt hinzu, dass die kleineren linken Bündnis-Parteien sich wieder auffangen könnten. Die Verzettelung der linken Kräfte ist mit ein Grund für die gestrige Niederlage. Schaffen sie es, sich wieder zusammenzuraufen – etwa unter der Fahne des neuen Bündnisses «Sumar» der populären kommunistischen Arbeitsministerin Yolanda Díaz – dann könnte die Linke durchaus an Stärke gewinnen.
Für Pedro Sánchez ist also noch nicht alles verloren. Mit den vorgezogenen Neuwahlen geht er eine grosse Wette ein, setzt auf «alles oder nichts». Und schon in knapp zwei Monaten wird sich herausstellen, ob dies ein verzweifelter Schnellschuss war oder ein cleverer Schachzug. Beides ist möglich.