Staatspräsident Raisi kam Mitte Mai bei einem Helikopterabsturz zu Tode. Nun wählen die Iranerinnen und Iraner einen neuen Präsidenten. Von den sechs zugelassenen Bewerbern sind noch vier im Rennen und drei spielen tatsächlich eine Rolle im Wahlkampf. Einer davon ist ein zaghafter Kritiker der Zustände – Massud Peseschkian.
Es wird darüber spekuliert, dass der 69-jährige Reformer als Lockvogel ins Rennen geschickt wurde – um Enttäuschte an die Urne zurückzuholen. Und damit der Eindruck entsteht, Wahlen in Iran hätten tatsächlich eine Bedeutung.
Regime in der Legitimationskrise
Sicher ist nur, dass die islamische Republik in einer tiefen Legitimationskrise steckt: In der Hauptstadt Teheran nahmen in der zweiten Runde der Parlamentswahlen im Mai gerade noch acht Prozent der eingeschriebenen Wählerinnen und Wähler teil, wie Siavush Randjbar-Daemi in Erinnerung ruft.
Der Iranforscher von der St. Andrews Universität in Schottland ist spezialisiert auf die Innenpolitik und insbesondere auf die Rolle der iranischen Präsidentschaft.
Peseschkian hat eine kurdische Mutter und einen azerischen Vater. Das könnte ihm Stimmen bei beiden der grössten Minderheiten des Landes einbringen. Auf Wahlkampf im Norden Irans betont Peseschkian denn auch, wie wichtig ihm Minderheitsrechte seien.
Peseschkian hat wenig anzubieten
Aussenpolitisch argumentiert der ehemalige Gesundheitsminister in der Reformregierung Chatami, dass es keine Perspektiven geben könne für die iranische Wirtschaft, ohne dass die Sanktionen gelockert werden. Und dass Iran dazu auch wieder ins Gespräch mit dem Westen kommen müsse.
Peseschkian stellte sich im Wahlkampf auch dem Gespräch mit Jugendlichen, die nichts mehr erwarten von dieser angeblich «gottgegebenen» Islamischen Republik – und nur noch wegwollen. Viel anzubieten hatte er ihnen nicht.
Der ehemalige Herzchirurg plädiert für kleine Schritte, kritisiert vorsichtig die Repression, nicht aber den Revolutionsführer Khamenei, der in der iranischen Politik die Fäden zieht.
Ein zweiter Wahlgang ist durchaus möglich
Je höher die Beteiligung, umso grösser die Chancen Peseschkians. Darüber herrscht Konsens. In den – notorisch unzuverlässigen – Umfragen liegen zwei Hardliner mit Peseschkian in etwa gleichauf.
Die Gegenspieler sind einerseits Mohammad Baker Kalibaf, derzeit Parlamentspräsident und ehemals Stadtpräsident von Teheran. Er unterhält beste Beziehungen in den Sicherheitsapparat, ist aber belastet durch Korruptionsvorwürfe. Andererseits ist da Said Dschalili. Er ist Kriegsveteran und ehemaliger Unterhändler bei den Atomverhandlungen. Der Ultrakonservative hat kaum Exekutiverfahrung.
Die beiden Hardliner vermochten sich nicht auf eine einzige Kandidatur zu einigen. Bis jetzt bleiben beide im Rennen. Kommt es also zweiten Wahlgang? Ein solches Szenario wird in Teheran nicht ausgeschlossen.
Wenig mächtiger Staatspräsident
Doch wer immer Staatspräsident wird, dessen Hände sind gebunden: Jetzt im Wahlkampf wird kontrovers diskutiert, danach fällt die Islamische Republik jeweils schnell wieder in ihre Grundeinstellung der Autokratie zurück.
Im System der Islamischen Republik ist der Staatspräsident Regierungschef. Er kann versuchen, die eigentlichen Machtzentren von einem bestimmten Kurs zu überzeugen – doch wenn der Revolutionsführer und die Revolutionsgarden nicht wollen, steht er kraftlos da.