Zunächst waren es drei Lecks an den Nord-Stream-Pipelines. Ein viertes ist am Donnerstag entdeckt worden. Dass es sich um Sabotageakte handelt, daran gibt es kaum Zweifel. Für die Sicherheit solcher Infrastrukturen verantwortlich sind in erster Linie die Betreiber. Die EU hat mittlerweile einen Belastungstest für die kritische Infrastruktur Europas angekündigt.
In der Tiefsee befinden sich Öl- und Gaspipelines sowie Tiefseekabel, die für die Kommunikation oder den Stromtransport genutzt werden. Wie sicher ist diese Unterseeinfrastruktur? Fredy Gsteiger, SRF-Experte für internationale Sicherheitspolitik, schätzt die Lage ein.
SRF News: Finnland hat die Überwachungsmassnahmen der Gaspipelines verstärkt. Die dänische Regierung ist besorgt über die Sicherheitslage im gesamten Ostsee-Raum. Wie kann kritische Infrastruktur in der Tiefsee geschützt werden?
Fredy Gsteiger: Man kann Zonen, in denen Angriffe befürchtet werden, aus der Luft mit Aufklärungsflugzeugen oder Drohnen überwachen. Auch kann man Aufklärungsschiffe patrouillieren lassen. Eine flächendeckende Überwachung ist jedoch schwierig und enorm aufwändig, da es viele solcher Pipelines und Unterwasserkabel gibt, die oft tausende von Kilometern lang sind. Eine Rundum-Überwachung all dieser Infrastrukturen ist fast unmöglich.
Würde es helfen, die Kabel und Pipelines widerstandsfähiger zu bauen?
Robustere Pipelines und Kabel mit Armierungen zu bauen und sie allenfalls gar tief im Meeresuntergrund zu vergraben, wäre eine weitere Möglichkeit, sie besser zu schützen. Doch auch das käme extrem teuer zu stehen. Und auch hier haben wir das Problem der oft sehr langen Distanzen. Das macht einen umfassenden Schutz viel anspruchsvoller als einen punktuellen, wie etwa die Verbunkerung einer einzelnen militärischen Anlage oder eines Atomkraftwerks.
Könnte ein möglicher Sabotageakt eine neue Art der Kriegsführung darstellen?
Ja, das ist denkbar. Zumal die ganze, enorm wichtige Unterwasserinfrastruktur äusserst verletzlich ist. Solche Sabotageakte dürften zwar die Möglichkeiten von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen übersteigen. Aber Staaten mit den entsprechenden militärischen Mitteln sind dazu problemlos imstande.
Muss man damit rechnen, dass Pipelines oder Kabel in Zukunft systematisch beschädigt werden?
Bisher ist das nicht passiert, weil praktisch alle Länder von solchen Installationen abhängig sind. Wenn also ein Staat Tiefseekabel oder Pipelines von anderen angreift, muss er stets damit rechnen, dass im Gegenzug solche Infrastrukturen angegriffen werden, die für ihn selber wichtig sind. Das Eskalationspotenzial ist also riesig.
Systematische Angriffe auf die Tiefseeinfrastruktur kann sich also nur ein Machthaber erlauben, der nach dem Prinzip «nach mir die Sintflut» operiert und dem es egal ist, wenn auch sein eigenes Land gewaltige Schäden davonträgt.
Das Gespräch führte Lea Gnos.