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Fitnessstudio in Südkorea verbietet «Tanten» Zugang
Aus SRF 4 News vom 14.06.2024. Bild: Keystone
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«Nur für gesittete Frauen» Fitnessstudio in Südkorea verbietet «Tanten» Zugang

Ein Schild an der Eingangstür erzürnt die Gemüter. Dabei ist Diskriminierung im Land eigentlich legal.

Was ist passiert? «Nur elegante und gesittete Frauen erlaubt»: Das steht an der Tür eines Fitnessstudios nahe der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Das Zutrittsverbot gilt für Frauen mittleren Alters, sogenannte «Ajumma», die sich offenbar nicht respektvoll gegenüber anderen Fitnesstreibenden verhalten. Einem Bericht von «BBC» zufolge sollen sie über die Figuren anderer Gäste lästern, in der Garderobe stundenlang ihre Wäsche machen und Seifen, Tücher oder Föhne klauen.

Was sind «Ajumma»?

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Legende: So sehen die stereotypisierten «Ajumma» aus. (Screenshot aus Fersehserie «Reply 1988» von 2015) Screenshot/tvN

Journalist und Autor Fabian Kretschmer hat lange Zeit in Südkorea gelebt und kennt sich mit der Kultur des Landes aus. Ihm zufolge sind «Ajumma», die fälschlicherweise oft als «Tante» übersetzt werden, koreanische Frauen im Alter zwischen 45 und 55 Jahren, die meist verheiratet sind, Dauerwellen tragen, bunt angezogen, laut und sehr selbstbestimmt auftreten, also eine Art «Ellbogenmentalität» haben.

Zwar sei der Begriff früher neutral gewesen. Doch heutzutage sei es ein abwertender Begriff mit sexistischer Komponente, erklärt Kretschmer. Jede Südkoreanerin und jeder Südkoreaner kenne dieses Stereotyp.

Wie fallen die Reaktionen aus? Obwohl lediglich ein Fitnessstudio eine solche Massnahme ergriffen hat, scheint sie den Nerv der Gesellschaft getroffen zu haben. «Wie kann der Begriff ‹schlechter Kunde› mit «Ajumma» gleichgesetzt werden?», heisst es in einem Kommentar auf Social Media. «Wenn ihr in der Dienstleistungsbranche gearbeitet hättet, wüsstet ihr, dass nicht nur ältere Frauen in diese Kategorien fallen», heisst es in einem anderen. Gemäss dem Journalisten und Ostasien-Kenner Fabian Kretschmer gibt es aber auch Menschen, die das Verbot befürworten und solche, die sagen, dass es nicht um das Verbot selbst gehe, sondern um einen respektvolleren Umgang miteinander.

Wie erklärt sich das Fitnessstudio? Es verteidigt sich mit einem zusätzlichen Hinweis, der zwischen «Ajumma» und Frauen zu unterscheiden versuchte. Darauf heisst es, dass «Ajumma» dazu neigten, «unabhängig von ihrem Alter kostenlose Dinge zu mögen», und dass sie «mit ihrem eigenen Geld geizen, aber nicht mit dem Geld anderer Leute». Gegenüber der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap sagte der Besitzer des Studios, er habe nicht versucht, einen Hasskommentar gegen ältere Frauen oder Frauen im Allgemeinen abzugeben.

Verhalten sich nur Frauen so in Südkorea? Die Psychologieprofessorin Park Sang-hee von der staatlichen Universität in Chungbuk sagte in einem Interview mit dem südkoreanischen TV-Sender JTBV, dass sich auch Männer unhöflich verhalten würden. «Ältere Männer sind auch besessen von kostenlosen Dingen», so die Professorin.

Wie verbreitet ist Diskriminierung in Südkorea? Sie ist laut Kretschmer weit verbreitet. Südkorea sei eine der wenigen Industrienationen, in welcher keine modernen Anti­diskriminierungs­gesetze gelten. Diskriminierung ist dort also legal. Entsprechende politische Vorstösse, dies zu ändern, würden stets an einer homophoben Lobby unter fundamentalen Christen scheitern, die den Schutz von sexuellen Minderheiten ablehnten. Laut Kretschmer fehlt ein gewisses Problembewusstsein hauptsächlich bei älteren Generationen.

Ausländer-Verbot in Clubs, Café-Besuch ohne Kleinkind

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Als Journalist Kretschmer in Südkorea gelebt hatte, sei es üblich gewesen, dass in manchen Discos oder Clubs beispielsweise keine Personen aus Afrika, Ausländerinnen und Ausländer oder US-Soldaten erlaubt waren, erzählt er. Oder, dass es in einigen Cafés ein Verbot für Kleinkinder gegeben habe.

Welche Rolle spielen die Männer bei der Diskriminierung? Eine «sehr problematische», sagt Südkorea-Kenner Kretschmer. Gerade diese Generation sei sehr patriarchal und machistisch. Aber auch sie erlebten Diskriminierung. Kretschmer sagt dazu: «Die südkoreanische Gesellschaft, die traditionell konfuzianisch, also Respekt gegenüber Älteren zollt, aber auch kollektivistisch geprägt ist, ist mittlerweile ziemlich fragmentiert.»

Wie erklärt sich diese Entwicklung? Die südkoreanische Gesellschaft teilt sich grob gesagt in zwei Gruppen ein: die westlich orientierten Jungen und die traditionell volkstümlichen Älteren. Die Jüngeren wehren sich gegen gesellschaftlichen Konventionen: «Viele haben es satt, dass Leute nur deshalb Autoritäten sind, weil sie älter sind, nicht wegen Leistungen oder anderer Verdienste», so Kretschmer.

Einschenken mit zwei Händen an der Karaffe

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Früher, als eine ältere Person in den Bus gestiegen sei, habe man ihr Platz gemacht, sei den Älteren nicht ins Wort gefallen oder habe Getränke mit beiden Händen eingegossen, was eine Art Höflichkeitsform darstellt, erklärt Kretschmer. Doch mittlerweile würden solche gesellschaftlichen Konventionen aufgeweicht.

SRF 4 News, 14.06.2024, 11:19 Uhr ; 

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