Seinen Aufruf an die Gläubigen, ihre Häuser zu öffnen, will der katholische Pfarrer Luca Favarin aus Padua in Norditalien nicht symbolisch, sondern ganz konkret verstanden wissen. Die Kirchgänger sollen Flüchtlinge in ihrer Wohnung aufnehmen. Mit diesem Aufruf reagiere er auf den aktuellen Flüchtlingsnotstand, sagt Favarin. «Eine Privatperson, die ein Haus oder eine Wohnung hat, die sie nicht benötigt, vermietet diese an unsere Kooperative oder gibt sie uns gratis zur Nutzung.»
Am Anfang des Projekts stand eine alte Dame. Sie sah die vielen Bootsflüchtlinge in den Abendnachrichten. Darauf entschied sie spontan, ihre grosse Wohnung im Herzen der Altstadt von Padua für Migranten zur Verfügung zu stellen. Sie besprach ihre Idee mit Favarin, der in der Stadt als «Flüchtlingspfarrer» bekannt ist. Dieser machte daraus ein neues Projekt.
Anfeindungen gegen den Pfarrer
Dabei war ihm von Beginn an klar, dass er dafür Hass und Anfeindungen ernten würde. Denn Padua wird von der Lega Nord regiert, die am liebsten gar keine Ausländer aufnehmen würde. Sein Projekt führe dazu, dass Flüchtlinge in der ganzen Stadt verteilt wohnen würden, sagt Favarin. «Man hat mich schon bespuckt und den Tag meiner Geburt verflucht.»
Der Pfarrer lässt sich aber nicht einschüchtern. Weil der italienische Immobilienmarkt derzeit in der Krise steckt, kommt vielen Hauseigentümern eine zeitlich befristete Nutzung gerade recht. Die Häuser und Wohnungen werden nicht direkt an die Asylbewerber vermietet, sondern an Favarins Organisation. «Die Vermieter sind beruhigt, weil sie wissen, dass wir die Verantwortung tragen», sagt der Pfarrer.
Die Situation akzeptieren
Die Migranten leben nur so lange in den Wohnungen, bis ihr Status geklärt ist. Werden sie als politische Flüchtlinge anerkannt, dürfen sie in Italien bleiben, müssen aber selbst eine neue Bleibe suchen. Werden sie nicht anerkannt, müssen sie das Land verlassen. Diese Situation sei jeweils nicht einfach, sagt Favarin. «Junge Männer, zu denen ich eine Beziehung aufgebaut habe, werden weggeschickt.» Aber er müsse die Situation akzeptieren.
Statt sich über die Flüchtlingspolitik zu ärgern, konzentriert sich der Pfarrer auf die paar Monate, die er hat, um seinen Schützlingen etwas mitzugeben. Sie lernen zum Beispiel, Fahrrad zu fahren, einen Geschirrspüler zu bedienen, Schuhe zu putzen oder den Müll zu trennen. Jede Wohngemeinschaft erhält regelmässig Besuch von zwei Betreuern. Sie achten darauf, dass alle am Alltag teilnehmen, statt sich zurückzuziehen und in schmerzhaften Erinnerungen zu versinken.
Luca Favarin bereitet die Flüchtlinge ausserdem auf die Zeit nach der Unterbringung in einer Privatwohnung vor. «Weint dann nicht, sondern überlegt euch vorher, wie es weitergehen soll», sagt der Pfarrer den paar Migranten, die sich um den Esstisch in einer Wohnung versammelt haben. Sie nicken.