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Ölverschmutzung im Nigerdelta Erdöl ist Nigerias Rohstofffluch

Nigeria ist Afrikas grösster Erdölexporteur. Täglich werden im Nigerdelta Millionen Liter Erdöl aus dem Boden gepumpt. Viele versuchen, vom schwarzen Gold zu profitieren, legal oder illegal. Doch die breite Bevölkerung hat nichts davon. Ausser Umweltzerstörung. Und Armut.

Bauer Barisitom Keenom zeigt mit seiner Machete auf den Boden: «Siehst du das Öl?» Ich hatte nicht realisiert, dass die schwarz glänzende Pfütze zu meinen Füssen kein Schlammloch ist. Erst als ich mit der Hand hineinfasse und ein dicker Ölfilm an meinen Fingern haften bleibt, wird mir klar: Rohöl. Klebrig, schwarz und hochgiftig.

Seit 2009 läuft hier im Dorf Kpor ununterbrochen Erdöl aus einer Pipeline. Die Pipeline sei alt, sagt der 45-jährige Bauer. Sie müsste komplett ersetzt werden. Doch das scheint der hier aktiven Ölfirma Shell zu teuer oder zu aufwändig zu sein. Man sei daran, die sanierungsbedürftigen Stellen zu identifizieren, sagt Shell auf Anfrage von SRF. Das Erdölunternehmen Shell ist nicht der einzige, aber mit Abstand der wichtigste Erdölkonzern im Nigerdelta.

Shell mit Sitz in Grossbritannien, dem Land der ehemaligen Kolonialherren, fördert hier Öl seit den 1950er-Jahren. Seither dürften mehr als zwei Millionen Tonnen Rohöl das Ökosystem des Nigerdeltas verschmutzt haben, schätzen internationale Experten.

Lebenserwartung von 41 Jahren

Direkt neben der Rohölpfütze liegt das Feld, wo Barisitom Keenom und seine Schwester, Gberebia Biraalo, Maniok, Mais und Gemüse anpflanzen. Die Familie weiss darum, dass sie hier auf dem verschmutzten Boden besser kein Essen anbauen sollte. «Ich bin krank. Aber wo sollen wir sonst hin? Wir haben kein Geld, um anderswo Land zu pachten», sagt Gberebia Biraalo.

Die Silhouetten der Bauern Gberebia Biraalo und Barisitom Keenom spiegeln sich im ausgelaufenen Rohöl.
Legende: Die Silhouetten der Bauern Gberebia Biraalo und Barisitom Keenom spiegeln sich im ausgelaufenen Rohöl. SRF / Anna Lemmenmeier

Die durchschnittliche Lebenserwartung im Nigerdelta liegt bei 41 Jahren. Das sind 20 Jahre weniger als im nigerianischen Durchschnitt. Obwohl unter ihrem Acker Ölpipelines durchgehen, die Tausende Kilometer lang sind, haben die Bauern nichts vom Öl. Ihr Boden ist verseucht, die Mangrovenwälder um sie herum sind zerstört, die Fische im Wasser tot. Die beiden Geschwister konnten nie zur Schule gehen, es gibt kein Gesundheitszentrum in der Nähe, die Menschen leben nach wie vor in Armut.

Eine Person
Legende: Bäuerin Gberebia Biraalo kann das verschmutzte Land nicht verlassen. SRF / Anna Lemmenmeier

Profitieren vom Öl

Nigeria ist Afrikas grösster Erdölexporteur. Doch weil es im Land keine einzige legale funktionierende Raffinerie gibt, muss das Land Benzin teuer importieren. Das kostet den Staat jedes Jahr Milliarden. Anfang Jahr standen Nigerianerinnen und Nigerianer gar stundenlang in Schlangen, wegen eines monatelangen Benzinengpasses. Das alles soll sich bald ändern. Afrikas reichster Mann, Aliko Dangote, will Ende Mai eine riesige Raffinerie in Lagos in Betrieb nehmen.

Autos in einer Kollone.
Legende: Anstehen für Benzin in der Millionenstadt Lagos im Februar 2023. SRF / Anna Lemmenmeier

Auch wenn es bis jetzt noch keine einzige legale Raffinerie in Nigeria gibt, kleine Illegale gibt es unzählige. Benzin, Diesel und Kerosin stellen die drei Männer hier her, die im Busch im Nigerdelta rund um die selbstgemachte Anlage stehen. Die Männer sind alle Mitte dreissig und wollen anonym bleiben. Auch der Ort, wo wir uns befinden, bleibt geheim. Was die jungen Nigerianer hier treiben, ist illegal.

Sie sind ein paar von Tausenden im Nigerdelta, die versuchen, aus der wertvollen Ressource in ihrem Boden etwas zu machen. Das illegale Raffinieren ist äusserst umwelt- und gesundheitsschädigend.

kleine, einfache Öl-Raffinerie
Legende: Eine illegale Raffinerie. SRF / Anna Lemmenmeier

Der Sandboden rund um die selbstgebaute Raffinerie ist tiefschwarz, bei der Arbeit entstehen hochgiftige Gase, welche die Männer einatmen. Und regelmässig kommt es bei dieser Tätigkeit zu Explosionen.

Doch die Familienväter sehen keine andere Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie waren einst Fischer, doch Fische gibt es hier kaum mehr.

Und verdienen am Öl, das wollten im Nigerdelta alle, sind sich die drei Männer einig: «Die Polizei, die Armee, der Zivilschutz, wir müssen alle bezahlen. Wenn wir sie nicht schmieren, dann zerstören sie unsere Raffinerie.» Im Schnitt kämen die Sicherheitskräfte zweimal die Woche. Und würden jedes Mal umgerechnet zwischen 100 und 200 Franken verlangen. Das ist hier viel Geld. Der Mindestlohn in Nigeria entspricht rund 60 Franken – im Monat. Das Öl, das die Männer hier veredeln, ist geklaut.

Sie haben es von Erdöldieben gekauft, die es direkt von der Pipeline von Ölkonzernen wie Shell abgezapft haben. Der Öldiebstahl im Nigerdelta ist Big Business. Laut staatlichen Angaben gehen Nigeria wegen des Öldiebstahls jährlich rund 4 Milliarden US-Dollar an Öleinnahmen verloren.

Das grosse Geschäft mit dem Öldiebstahl

Um dem grossen Geschäft auf die Spur zu kommen, müssen wir aufs Boot umsteigen und ganz tief ins Netz des aus verästelten Flussarmen bestehenden Nigerdeltas eindringen.

Ein Fischerboot mit zwei Personen auf einem Fluss.
Legende: Die letzten Fischer im Nigerdelta. SRF / Anna Lemmenmeier

Nach einer guten halben Stunde im Motorboot ruft der Bootsführer plötzlich: «Hände hoch!» Wir nähern uns einem Hausboot des nigerianischen Militärs. Alle, die daran und am dahinter liegenden Hausboot der Angestellten des Ölkonzerns Shell vorbei wollen, müssen das mit erhobenen Händen tun.

Die Gegend hier ist hoch militarisiert. Auch, weil Milizen regelmässig für Unsicherheit sorgen. Die Sicherheitskräfte sind ein wichtiger Akteur im Geschäft mit gestohlenem Öl, obwohl sie offiziell hier sind, um dieses zu verhindern. Das weiss auch der ganz in weiss gekleidete Mann, den wir vor seinem Haus auf einer kleinen Insel mitten im Nigerdelta treffen. Auch er will anonym bleiben.

Der Mittvierziger arbeitet für den Ölkonzern Shell und soll in dieser Funktion Öldiebe aufspüren, welche die Pipelines unter Wasser anzapfen. Ingenieure bauten parallele illegale Pipelines, die an die offiziellen angeschlossen werden, erzählt er. Zum Teil bleiben diese illegalen Pipelines jahrelang bestehen und sind kilometerlang.

Es ist für Aussenstehende völlig unklar, welche Öldiebe vom Militär aufgegriffen werden und welche nicht. Der Aufspürer der Öldiebe zeigt auf den Horizont, wo eine riesige graue Rauchsäule in den Himmel ragt: «Da hinten sieht man den Rauch. Das Boot hat das Militär gestern angezündet.»

Ein Fluss mit einer Rauchwolke im Hintergund.
Legende: Das nigerianische Militär verbrennt ein Schiff mit geklautem Öl. SRF / Anna Lemmenmeier

Doch viel öfters schauten die Sicherheitskräfte weg. Zu viele Menschen profitierten vom Öldiebstahl und bezahlten fürs Wegschauen. Seit 15 Jahren wird unser Gesprächspartner von Shell dafür bezahlt, dass er die Öldiebe dem Militär meldet. Noch nie sei einer der gemeldeten Diebe vor Gericht gelandet.

Wer die ganz grossen Fische im Geschäft mit dem Öldiebstahl sind, das weiss niemand. Es ist eine Mischung aus organisiertem Verbrechen, Politelite und Sicherheitskräften. Geduldet von den Ölfirmen, die auch so noch genug Gewinn machen.

International, 13.05.2023, 09:08 Uhr.

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