An Wahlkampf-Events der neuen Volkspartei Österreichs (ÖVP) dominiert die Farbe Türkis. Denn in der neuen politischen Farbenlehre des Landes ist Türkis das neue Schwarz. Sebastian Kurz, 31, Aussenminister und seit dem Juli Parteichef, hat der Partei diesen neuen Anstrich verpasst und sie umbenannt in «Liste Sebastian Kurz – neue Volkspartei». Und das Wort «neu» zieht sich durch seine ganze Kampagne.
«Zusammen neue Wege gehen»
Auf der Grossleinwand auf dem Dornbirner Marktplatz erscheint Kurz, unterlegt von Pop-Klängen. Seine Botschaft: «Wir sind offen für Dich. Und ich freue mich, wenn wir zusammen neue Wege gehen».
Eine gute halbe Stunde später kommt Kurz selber auf die Bühne: blauer Anzug, weisses Hemd, keine Krawatte, die dunkelblonden Haare akkurat nach hinten gekämmt. Der Jubel, vor allem in den ersten Reihen, ist gross, wie bei einem Pop-Konzert.
«Ich bin kein Wunderwuzzi»
Nicht nur hier im äussersten Westen Österreichs jubeln sie dem jungen Wiener zu. Seit Kurz im Mai die Partei umzukrempeln begann, sind deren Umfragewerte explodiert, seither ist er für viele Österreicher ein «Wunderwuzzi».
Was die Österreicher damit meinen, will Kurz auf Nachfrage von SRF nicht verraten: «Ich kann Ihnen nicht sagen, was ein Wunderwuzzi ist und ich bin auch keiner». Der Duden klärt auf: Das Wort bedeutet soviel wie ein Tausendsassa, dem alles gelingt.
Entweder nach meinen Regeln, oder allein weiterwursteln
Und geglückt ist ihm tatsächlich einiges. Er schafft das Kunststück, im Wahlkampf wie ein Jungunternehmer aufzutreten, ohne selbst je in der Privatwirtschaft gearbeitet zu haben. Ohne Uni-Abschluss wurde er vor sieben Jahren Regierungsmitarbeiter und ist seither Berufspolitiker.
Und in der Partei hat er im Sommer hoch gepokert – und gewonnen. Er stellte sie vor die Alternative: Mit mir nach meinen Regeln, oder allein weiterwursteln. Diese Machtprobe sei nötig gewesen, sagt Kurz im Gespräch: «Wenn jemand bereit ist, Chef einer Partei zu werden, dann muss er auch entscheiden können. Darum haben wir unsere Statuten so verändert, das ich nicht nur auf dem Papier der Chef bin.»
Ein Parteichef muss auch entscheiden können.
Ein grundlegender Unterschied zur alten ÖVP, wo die sogenannten Bünde das Sagen hatten: innerparteiliche Interessengruppen von Bauern, Unternehmern und Arbeitnehmern. Sie teilten sich die Macht in der Partei nach festgelegten Regeln, der Parteichef war ein besserer Koordinator.
Verdienstvolle Parteimitglieder fühlen sich zurückgedrängt
Kurz nutzte seine neuen Vollmachten und griff von Wien aus in die Listengestaltung in den Regionen ein. Im Tirol machte er eine Ex-Sportlerin zur Spitzenkandidatin: Die 24-jährige frühere Stabhochspringerin Kira Grünberg, die seit einem Trainingsunfall querschnittgelähmt ist. Mehrere Parteimitglieder vom ÖVP-Arbeitnehmerflügel fühlten sich zurückgedrängt und zogen ihre Kandidaturen aus Protest zurück.
Überhaupt ist es der Arbeitnehmerflügel der unter dem wirtschaftsliberalen Kurs von Kurz zu kurz zu kommen droht, auch wenn das wenige Wochen vor der Wahl kaum noch jemand offen sagt.
«Nicht die Schlepper entscheiden lassen»
Die Botschaften von Sebastian Kurz, an diesem Abend in Dornbirn und auch sonst auf seiner Tour durch Österreich, sind einfach und leicht verständlich – und er verspricht viel: tiefere Steuern, «damit die, die arbeiten gehen, nicht die Dummen sind.» Und immer wieder, weniger Zuwanderung, sein Mantra in diesem Wahlkampf: «Ein Sozialstaat wie Österreich kann es sich nicht leisten, dass immer mehr Menschen in unser Sozialsystem zuwandern.»
Migration ist schon länger Kurz’ bevorzugtes Thema. Als Aussenminister setzte er sich für die Schliessung der Balkanroute für Flüchtlinge ein. Und früh im Wahlkampf legte er mit der Forderung nach, auch die Mittelmeerroute sei zu schliessen – ohne sich im Detail dazu zu äussern, was Österreich dazu beitragen könnte.
Obwohl der Zustrom von Migranten via diese Mittelmeerroute kleiner geworden ist, hat Kurz seine Rhetorik nur minimal geändert. Bei seinem Wahlkampfauftritt sagt er, Österreich müsse seine Grenzen wieder systematisch kontrollieren können, weil die EU ihre Aussengrenzen nicht schütze. «Wir müssen entscheiden, wer in unser Land kommt, und nicht die Schlepper.»
Selbst Schmutzkampagne hilft Kurz
Was bei vielen gut angekommen ist, auch in Dornbirn: Kurz hat in seiner Rede vor allem sich gut dargestellt und nicht die Gegner schlecht. Er verzichtet im Wahlkampf weitgehend auf Angriffe auf den politischen Gegner.
Kurz, der je nach Umfrage zur Zeit mit bis zu 11 Prozentpunkten auf seine Konkurrenz führt, hat auch wenig Grund, zum verbalen Angriff. Zumal sich der nach wie vor grösste Gegner, der bisherige Regierungspartner SPÖ, mit einer verdeckten Schmutzkampagne gegen ihn, sozusagen selber aus dem Rennen genommen hat.
Anonyme Anti-Kurz-Websites mit Verhöhnungen des neuen ÖVP-Leaders wurden offenbar von einem SPÖ-Wahlkampf-Strategen in Auftrag gegeben. Auch wenn SPÖ-Kanzler Christian Kern angibt, von allem nichts gewusst zu haben und die ÖVP nun verdächtigt wird, hinter den Enthüllungen zu stehen, welche die SPÖ diskreditieren – der Schaden ist angerichtet und Kanzler Christian Kern endgültig in der Defensive in einem Wahlkampf, der für ihn ein einziger Parcours von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen war.
So scheint eine knappe Woche vor der Wahl, nichts mehr einem Sieg der neuen ÖVP unter ihrem «Wunderwuzzi» im Wege zu stehen. Befürchten muss Kurz einzig, dass seine Wähler vor lauter Siegessicherheit zu Hause bleiben.