Die türkische Armee und ihre Verbündeten der freien syrischen Armee haben gemäss türkischen Angaben die nordsyrische Stadt Afrin eingenommen. Doch wie geht es nun weiter in Nord-Syrien? Fragen an ARD-Korrespondent Michael Lehmann.
SRF News: Wie genau lautet die offizielle türkische Version zur Lage in Afrin?
Michael Lehmann: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war sich am Morgen schon sehr sicher, dass Afrin jetzt in den Händen der Befreier – wie er das nennt – ist. Gemeinsam mit den Verbündeten der freien syrischen Armee habe die türkische Armee die Stadt eingenommen. Sie sei jetzt von Terroristen befreit, wie das Erdogan nannte.
Man muss davon ausgehen, dass es in der Tat in den letzten drei Tagen durch die heftigen Angriffe gelungen ist, die kurdischen Kämpfer soweit zu verschrecken, dass es heute gelang, über drei Flanken in die Stadt vorzudringen.
Glaubt man Agenturmeldungen, halten die Kämpfe in der Stadt an. Was lässt sich Gesichertes über die Situation vor Ort sagen?
Sowohl im Internet als auch bei einigen Bild- und TV-Agenturen, die sich jetzt trauen, in der Stadt zu drehen, sieht man, dass an vielen Plätzen fast schon kleine Jubelfeiern stattfinden. Da wird von Kämpfern der Freien syrischen Armee in die Luft geschossen und es werden sehr viele kurdische Symbole vernichtet.
Allerdings: Der Kampf ist nicht zu Ende. Viele Kurden haben dies heute auch versucht, der Weltöffentlichkeit klar zu machen. Sie sprechen von einer neuen Guerilla-Taktik, die folgen wird. Das lässt Schlimmes befürchten.
Wird die türkische Armee ihre Offensive auch auf andere Kurdengebiete in der syrischen Grenzregion ausweiten?
Erdogan hat angedeutet, dass Afrin nicht die einzige Stadt ist, die er ins Visier nimmt. Auf der anderen Seite gab es auch immer mal wieder Beschwichtigungsversuche, dass man nicht auf ewig in Afrin bleiben wolle.
Ich glaube, dass er jetzt abwarten wird, was tatsächlich mit den kurdischen YPG-Kämpfern passiert, die er ja vor allem in Afrin auslöschen wollte. Es gibt viele Tote unter ihnen, aber auch einige tausend Kämpfer, die jetzt irgendwo hinmüssen. Diese werden nicht so einfach aufgeben wollen und haben wohl zum Teil Zivilisten als Geiseln genommen, um sich selbst zu schützen.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.