Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist am späten Montagabend mit zwölf seiner Bundes- und Staatsminister nach Warschau gereist, um den Beziehungen zum Nachbarland neuen Schub zu geben. Dort finden heute die ersten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen seit fast sechs Jahren statt.
Das Format gilt als Zeichen einer besonders intensiven Beziehung. Sechs Jahre lang waren diese Gespräche zwischen Deutschland und Polen auf Eis gelegt. Grund: Polens Vorgängerregierung unter der rechten PiS wollte von Zusammenarbeit mit Deutschland nichts mehr wissen.
Unter der seit Dezember amtierenden Mitte-Links-Regierung Donald Tusks ist das Klima nun deutlich besser geworden. Tusk sei sehr offen für eine engere Zusammenarbeit mit dem grossen Nachbarn, sagt denn auch Jan Opielka, der als freier Journalist aus Warschau berichtet.
Der ehemalige EU-Ratspräsident Tusk pflegt eine besondere Nähe zu Brüssel und Berlin und unterstützt auch die deutsche EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die für eine weitere Amtszeit kandidiert. «Das heutige Treffen soll die neue Öffnung in den Beziehungen zwischen Deutschland und Polen symbolisieren», sagt Opielka.
Streit um Reparationszahlungen
Bei den insgesamt nur dreistündigen Beratungen unter Leitung von Scholz und Polens Ministerpräsident soll ein Aktionsplan beschlossen werden, der sowohl Entschädigungszahlungen für noch lebende polnische Opfer der Besatzung durch Nazi-Deutschland als auch deutsche Hilfe für die Verteidigung der Ostflanke der Nato enthalten soll. Nach einem Bericht der «Süddeutschen Zeitung» könnten die Finanzhilfen zusammen im dreistelligen Millionenbereich liegen.
Doch auch Tusk betonte bei seinem Antrittsbesuch im Februar in Berlin: «Im formalen Sinne wurden die Reparationen schon vor vielen Jahren abgeschlossen. Aber die materielle und moralische Wiedergutmachung wurde nie realisiert.» Ein Ausgleich von Rechnungen sei nötig, man müsse nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit suchen, ohne die gegenseitigen Beziehungen zu belasten.
Die Entschädigungszahlungen sind auch ein heikles Thema, weil damit die Tür für Forderungen aus anderen Ländern geöffnet werden könnte. So gibt es auch aus Griechenland fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch Forderungen nach Entschädigung für die von Nazi-Deutschland verursachten Kriegsschäden.
Die PiS wirft Tusk immer wieder vor, dass er ein deutscher Agent sei.
Ein wichtiger Teil der Konsultationen sollen auch sicherheitspolitische Fragen sein. So will Polen Teil der von Deutschland initiierten «Sky Shield»-Initiative werden. Diese will das europäische Luftverteidigungssystem stärken. Die PiS-Regierung hatte das Vorhaben aufgrund der frostigen Beziehungen zu Berlin noch abgelehnt.
Weiterhin geht es auch darum, wie die Grenze zwischen Polen und Belarus besser abgesichert werden kann. Seit Jahren versuchen hier Migranten, illegal auf EU-Territorium zu gelangen. «Die polnisch-belarussische Grenze wird von vielen Migranten überquert, die anschliessend zu grossen Teilen nach Deutschland gehen», sagt Opielka.
Die mittlerweile oppositionelle PiS-Partei findet wenig Gefallen an der Annäherung zwischen Deutschland und Polen. «Die PiS wirft Tusk sogar immer wieder vor, dass er ein deutscher Agent sei», schliesst Opielka. «Und dieses Narrativ dürfte nun fortgeführt werden.»