Gina McDonald ist auf den Strassen von San Francisco unterwegs, ganz in der Nähe des Rathauses und der United Nations Plaza. Sie ist eine der Mothers Against Drug Deaths, eine Gruppe von Müttern drogensüchtiger Kinder.
Die Tochter der 52-Jährigen heisst Sam und ist 24 Jahre alt. Zuerst war sie auf Kokain, dann Heroin und schliesslich auf Fentanyl. «Ich habe sie eines Tages auf der High Street gefunden, habe sofort angehalten und wollte sie ins Auto ziehen. Sie wehrte sich aber und wollte nicht in den Wagen», erzählt McDonald.
Eine Polizeistreife habe damals neben ihr angehalten und wollte wissen, was sie da mache. «Die Drogendealer an der Strassenecke interessierten sie gar nicht, auch nicht die Süchtigen, die sich da auf dem Trottoir etwas spritzten», sagt die Mutter frustriert.
McDonald brachte Sam auf direktem Weg in die Notaufnahme. Ihre Tochter ist seitdem clean. Doch sie engagiert sich weiterhin: Mehrmals in der Woche ist sie unterwegs, um Töchter und Söhne anderer Mütter zu finden. McDonald war früher ebenfalls drogensüchtig, weiss um den Teufelskreis der Sucht.
Die Opioid-Krise am Golden Gate
Fentanyl ist überall in Amerika angekommen. Am Golden Gate hat die Droge in den letzten zweieinhalb Jahren nahezu 1400 Tote gefordert. Das sind etwa zwei Drittel aller Drogentoten in diesem Zeitraum in San Francisco.
Der Ruf wird immer lauter, dass das Weisse Haus Fentanyl als Massenvernichtungswaffe einstuft. So könne besser gegen die mexikanischen Kartelle, die Drogendealer und die chinesischen Importeure vorgegangen werden.
Wenn wir so viele Menschen durch Schiessereien verloren hätten, dann würde die Nationalgarde auf den Strassen patrouillieren.
Für San Franciscos Supervisor Matt Dorsey, eine Art Stadtratsabgeordneter, ist klar: Hätte man so viele Menschen durch Schiessereien verloren, liesse der Gouverneur die Nationalgarde auf den Strassen patrouillieren.
Warum es überhaupt so weit kommen konnte? Die Stadt sei zwar relativ gut durch die Pandemie gekommen, doch gleichzeitig seien direkte Hilfen und Unterstützung an Süchtige ausgefallen, erklärt Dorsey. «Einrichtungen wurden vorübergehend geschlossen. Das alles zu einer Zeit, als Fentanyl den Drogenmarkt überschwemmte.»
Zudem sei in San Francisco mit Jesse Bourdin ein neuer und äusserst progressiver Staatsanwalt ins Amt gewählt worden, der nicht länger einfache Drogendealer strafrechtlich verfolgen wollte. Dorsey meint: «Der neue Staatsanwalt hatte eine veraltete Vorstellung von Drogenkonsum, das vielleicht noch für Heroin oder Meth galt, aber nicht für Fentanyl.» Bei der aktuellen Krise seien es nämlich schon kleinere Mengen, die die Leute umbringen.
Die Dealer sind so weithin sichtbar und die Süchtigen konsumieren ganz offen auf der Strasse, in Hauseingängen, an U-Bahn-Eingängen. Manche ziehen sich eine Jacke über den Kopf, wenn sie Fentanyl erhitzen und dann inhalieren. Danach liegen sie wie tot auf dem Boden oder stehen regungslos wie Zombies mitten auf dem Weg.
Immer mal wieder hört man den Ruf nach Naloxon – ein Mittel, das bei einer Überdosis umgehend die Wirkung der Droge ganz oder teilweise aufhebt. Fast jeder hier hat es in seiner Tasche. Die Stadt gibt es kostenlos aus.
Vor einem Jahr schon rief die Bürgermeisterin von San Francisco einen Notstand aus. Gebracht hat es nicht viel. Lokalpolitiker und Polizei scheinen keine Antwort auf die Krise zu finden. Das Heer der Drogensüchtigen wächst weiter, die Beschaffungskriminalität nimmt zu.