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Kontroverse um Geschlechtertrennung in Israel
Aus Rendez-vous vom 19.08.2019. Bild: Reuters
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Orthodoxe Lebensweise «Geschlechtertrennung ist für viele Israeli ein rotes Tuch»

Die Lebensweise strenggläubiger Juden gibt in Israel immer wieder Anlass für öffentliche Debatten. So hatten Ultraorthodoxe die Geschlechtertrennung an einem öffentlichen Konzert verlangt – etwas, das laut israelischem Gesetz verboten ist. Ein Bezirksgericht gab dem Anliegen zwar überraschend statt. Nun wurde es aber vom Obersten Gericht zurückgepfiffen. Korrespondentin Susanne Brunner über die schwierige Trennung von Religion und Staat.

Susanne Brunner

Leiterin Auslandredaktion

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Susanne Brunner war für SRF zwischen 2018 und 2022 als Korrespondentin im Nahen Osten tätig. Sie wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und in der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Bei Radio SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin bei SRF 3. Dann ging sie als Korrespondentin nach San Francisco und war nach ihrer Rückkehr Korrespondentin in der Westschweiz. Sie moderierte auch das «Tagesgespräch» von Radio SRF 1. Seit September 2022 ist sie Leiterin der Auslandsredaktion von Radio SRF.

Hier finden Sie weitere Artikel von Susanne Brunner und Informationen zu ihrer Person.

SRF News: Was war die Urteilsbegründung des Obersten Gerichts?

Susanne Brunner: Ultraorthodoxe Juden und auch andere religiöse Gruppen wie etwa Muslime dürfen Männer und Frauen an privaten Anlässen trennen. Aber hier handelte es sich um ein Konzert, das in einem öffentlichen Park stattfinden sollte. Deshalb urteilte das Oberste Gericht, ultraorthodoxe Männer und Frauen dürften getrennt voneinander sitzen, aber andere Besucher könnten nicht dazu gezwungen werden, sich aufzuteilen.

Ein Konzert mit Misstönen

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Am 14. August sollte der Haredi-Sänger Motty Steinmetz in Afula auftreten. Dieser ist für die Ultraorthodoxen ein Star. Das Konzert sollte öffentlich sein und in einem Stadtpark stattfinden. Aber die Ultraorthodoxen wollten das Publikum streng religiös aufteilen: Frauen auf der einen, Männer auf der anderen Seite. Nur: Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum verstösst gegen die Gleichstellung von Mann und Frau. Eine Frauenorganisation klagte und bekam in erster Instanz Recht: Die Stadt durfte die Geschlechtertrennung an diesem Konzert nicht erlauben. In zweiter Instanz stiess ein Bezirksrichter das Urteil um: Die Stadt dürfe Ultraorthodoxen die Geschlechtertrennung sehr wohl erlauben. Der Fall gelangte darauf ans Höchste Gericht. Dieses urteilte, der Bezirksrichter, der die Geschlechtertrennung erlaubt habe, habe seine Kompetenzen überschritten. Geschlechtertrennung an einem öffentlichen Ort, mit öffentlichen Geldern finanziert, verstosse gegen das Gesetz. Doch das Urteil wurde zu spät gefällt. Das Konzert vor den nach Geschlechtern getrennten Rängen war schon fast fertig, als es eintraf.

Gibt es Orte, an denen orthodoxe Frauen und Männer getrennt werden?

Dort, wo Ultraorthodoxe praktisch unter sich sind, ist Geschlechtertrennung in fast allen Bereichen üblich. Und wo sich Frauen und Männer begegnen müssen, im Bus zum Beispiel, müssen die Frauen hinten Platz nehmen. Es gibt sehr strenge Kleidervorschriften für Frauen, auch für nicht-orthodoxe.

In öffentlichen Bussen nehmen Fahrer manchmal Frauen, die Shorts tragen, nicht mit.

Das Problem ist, dass Ultraorthodoxe in den letzten Jahren versucht haben, ihre Moralvorstellungen auf Bereiche ausserhalb ihrer Gemeinschaften auszudehnen. Zum Beispiel klagen Aktivistinnen über eine Sittenpolizei an öffentlichen Universitäten, die die Rocklänge kontrolliert. In öffentlichen Bussen nehmen Fahrer manchmal Frauen in Shorts nicht mit. Und es gibt immer wieder Fälle, bei denen Ultraorthodoxe Frauen auf der Strasse anspucken, wenn sie nicht ihren Vorstellungen gemäss gekleidet sind.

Der Oberstaatsanwalt will an öffentlichen Veranstaltungen eine Geschlechtertrennung einführen. Was sagen liberale Israeli dazu?

Es tobt ein eigentlicher Kulturkampf um diese Frage. Es geht um die Trennung von Staat und Religion. Wo sind die Grenzen? Am Sabbat fahren in Israel zum Beispiel keine öffentlichen Verkehrsmittel. Davon betroffen ist auch die nichtjüdische Bevölkerung, die ein Fünftel der Bevölkerung ausmacht.

Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, was jüdisch sein eigentlich heisst.

Die Geschlechtertrennung ist ein rotes Tuch für viele, weil Israel ja auch ein modernes, aufgeschlossenes Land ist. Da passen solche Vorstellungen schlicht nicht ins Gesellschaftsbild vieler. Und es gibt doch sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, was jüdisch sein eigentlich heisst.

Welches Lager ist stärker, die Liberalen oder die Strenggläubigen?

Über eine Million Menschen gehören in Israel zu den Ultraorthodoxen. Das ist nicht die Mehrheit. Israel hat eine Bevölkerung von ungefähr neun Millionen. Rund die Hälfte der ultraorthodoxen Männer arbeitet nicht, allerdings haben über 70 Prozent der Frauen einen bezahlten Job. Trotzdem leben viele in Armut. Die allermeisten lehnen den Militärdienst ab. Sie sind aber politisch sehr einflussreich, denn ohne sie kommt keine rechte Koalition zustande.

Es gibt auch jüngere Ultraorthodoxe, die das Internet nutzen, obwohl dies eigentlich verboten ist.

Darauf hat vor allem Premierminister Benjamin Netanjahu in den letzten Jahren gezählt. Gleichzeitig gibt es auch jüngere Ultraorthodoxe, die gut bezahlte Jobs haben. Diese nutzen auch das Internet, obwohl dies eigentlich verboten ist. Auch nicht alle Frauen geben sich mit den Geschlechtervorschriften zufrieden und wehren sich. Gut ist sicher, wenn die israelische Gesellschaft eine echte Diskussion über Staat und Religion führt.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

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