In Libanon ist es gestern zu Explosionen gekommen. Dabei sind rund 2750 Menschen verletzt und mehrere getötet worden. An verschiedenen Orten explodierten tragbare Funkempfänger, sogenannte Pager. Die Explosionen waren mutmasslich koordiniert. Die Hisbollah-Miliz hat Israel dafür verantwortlich gemacht und Vergeltung angekündigt.
Was meint die Hisbollah mit der Ankündigung einer «gerechten Vergeltung»?
Vergeltung bedeutet für die Hisbollah primär Raketen und Drohnen. Vor drei Wochen hatten wir eine ähnliche Ausgangslage, als die Miliz die Tötung eines hochrangigen Kommandanten mit über dreihundert Geschossen vergolten hat. Diese Art der Vergeltung hat damit zu tun, dass die Hisbollah keine andere Möglichkeit hat, um sich zu rächen. Es ist schwer vorstellbar, dass sie mit Soldaten in Israel einmarschieren wird oder ähnliche ausgeklügelte Attacken, wie dieser Pager-Angriff, durchführen kann. Dazu fehlt der Miliz das nötige Know-how.
Waren die in Libanon explodierten Pager präpariert?
Das scheint tatsächlich der Fall zu sein. Offenbar hat die Hisbollah dieses Jahr bei einer taiwanesischen Firma eine grössere Bestellung von Pagern gemacht. Dies, weil seit Oktober Handys von Hisbollah-Kommandanten geortet werden konnten. Die betroffene Firma weist derzeit allerdings die Vorwürfe zurück, besagten Pager tatsächlich produziert zu haben. Denn die Pager dieser Bestellung sollen laut verschiedenen US-Medienberichten mit Sprengsätzen versetzt worden sein. Das würde erklären, dass nur ein bestimmter Teil der Pager – hauptsächlich von Mitgliedern der Hisbollah – explodiert ist. Es sieht nach einem gezielten Angriff auf die Miliz aus. Dabei wurden aber ebenfalls viele Zivilisten verwundet, auch weil sie einfach in der Nähe der explodierten Geräte standen.
Steckt Israel hinter der Pager-Attacke?
Stellungnahme von Israel gibt es noch nicht. Es scheint aber doch eher plausibel, dass Israel hinter dem Anschlag steckt. Denn, wenn tatsächlich von langer Hand Sprengsätze in diese Pager eingesetzt wurden, diese latent gefährlich im Umlauf waren, weist das auf einen extrem gut organisierten, klar kalkulierenden Akteur hin – einen staatlichen Akteur. Hier stellt sich die Frage: Wer ausser Israel hat Interesse und auch die Kapazität, das Kommunikationssystem der Hisbollah zu stören und nimmt dabei auch zivile Verletzte in Kauf. Die Message an die Libanesen ist klar: Allein die Nähe zur Hisbollah kann gefährlich sein. Das ist eine Message, die Israel schon länger in Libanon verbreitet.
Wie wirkt sich das Ereignis auf die Situation im Nahen Osten aus?
Bisher hatte eigentlich jedes Ereignis seit dem 7. Oktober die Kapazität, die Lage vollends eskalieren zu lassen. Von solchen Ereignissen gab es in letzter Zeit nicht wenige. Dennoch ist eben dieser Flächenbrand bisher nicht ausgebrochen. Ich würde beim gestrigen Geschehnissen von derselben Prämisse ausgehen. Das Potenzial einer absoluten Eskalation ist nach wie vor gross – aber ob sie tatsächlich eintrifft, ist offen. Tatsache ist: Es wird weiterhin von Seiten der Hisbollah und von Israel an dieser Eskalationsspirale gedreht.