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Papst-Berater im Interview «Franziskus war zu spontan»

Was konnte Papst Franziskus erreichen und was nicht? Christian Rutishauser ist Theologe, Jesuitenpater und war einer der Berater des Papstes. Er sagt, der Papst habe nicht primär an strukturellen Reformen gearbeitet. Sein Hauptanliegen sei eine geistige, theologische und mystische Erneuerung gewesen.

Christian Rutishauser

Professor für Judaistik und Theologie, Universität Luzern

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Christian Rutishauser ist Professor für Judaistik und Theologie an der Universität Luzern. Seit 2014 war Christian Rutishauser Berater des Papstes in Fragen der religiösen Beziehungen zum Judentum. Der St. Galler war bis 2021 der höchste Jesuit der Schweiz. Papst Franziskus gehörte dem Jesuitenorden an.

SRF News: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vom Tod des Papstes erfahren haben?

Christian Rutishauser: Was viele erschüttert hat, ist, dass Papst Franziskus am Tag vor seinem Tod noch einmal auftrat: Er sprach den Segen «Urbi et Orbi» und fuhr mit dem Papamobil durch die jubelnde Menge. Und am nächsten Morgen starb er. An Ostern zu sterben – das ist für einen Katholiken wohl das Schönste.

Was machte Papst Franziskus aus?

Er hat nicht primär an strukturellen Reformen gearbeitet. Sein Hauptanliegen war eine geistige, theologische und mystische Erneuerung. Für ihn stand ein langsames, prozessorientiertes Vorgehen im Zentrum – eine Art Feintuning des Bestehenden. Das schätze ich sehr. Vielleicht hat diese Art nicht zu den tiefgreifenden Reformen geführt, die wir in Mitteleuropa fordern, doch das, was Franziskus angestossen hat, ist unumkehrbar.

Bei einigen Themen hat er jedoch wenig verändert: Das Priesteramt bleibt Männern vorbehalten, das Zölibat wird nicht infrage gestellt. Hat er da etwas verpasst?

Er suchte neue Wege – und fand sie nicht immer. Das ist Realpolitik.

Ich denke, er hätte mutiger sein können. Verheiratete Priester oder die Weihe von Frauen wären Schritte gewesen, die Franziskus durchaus hätte wagen können, ohne einen Aufschrei in der Kirche zu riskieren. Aber er musste stets die Einheit der Kirche im Blick behalten. Bei Widerstand musste er oft wieder einen Schritt zurücktreten. Er suchte neue Wege – und fand sie nicht immer. Das ist Realpolitik.

Was hat er nicht erreicht?

Manchmal hatte ich den Eindruck, er verstand sich mehr als Pastor und Seelsorger denn als Papst. In Interviews äusserte er sich oft sehr spontan – etwas, das sich ein Papst kaum leisten kann. Franziskus war manchmal zu spontan, ohne seine Idee oder seinen Gedanken fertig zu denken.

Franziskus war manchmal zu spontan, ohne seine Idee oder seinen Gedanken fertig zu denken.

Sie denken an seine Forderung, die Ukraine solle Friedensverhandlungen führen?

Ja. Da wurde seine kritische Haltung gegenüber Europa sichtbar. Statt sich stärker für Menschenrechte und demokratische Werte einzusetzen, fokussierte er auf die Auseinandersetzung zwischen Nato und Russland. Das hat mich geärgert.

Was erwarten Sie vom kommenden Konklave?

Die Lage ist sehr offen. Viele Kardinäle, die Franziskus ernannt hat, sind in der Weltkirche noch wenig bekannt. Jetzt treffen sie erstmals in dieser Form aufeinander. Daraus ergibt sich eine grosse Vielfalt – vielleicht eine in der Kirchengeschichte noch nie dagewesene Breite, weil Vertreter aus so vielen Kulturen zusammenkommen. Es bleibt spannend. Der Vatikan-Film «Konklave» von Edward Berger zeigt diese Dynamik übrigens recht eindrücklich. Gehen Sie den Film schauen, er vermittelt einen guten Einblick!

Das Gespräch führte David Karasek.

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Tagesgespräch, 22.4.2025, 13 Uhr ; 

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