«SRF News Online»: Ein deutscher Kardinal wird im Magazin «Spiegel» so zitiert: «Ein Papst kann Theologe sein oder Seelsorger oder Feldherr. Um die Weltkirche zu leiten, bedarf es eines Feldherrn.» Hat die katholische Kirche Sehnsucht nach dem starken Mann?
Thomas Binotto: Der Begriff Feldherr stammt aus der Kriegsführung, ich finde ihn unpassend. Führungsstärke sollte der Papst aber schon besitzen. Schliesslich muss er auch fähig sein, unangenehme Entscheidungen zu treffen.
Klingt nach der Tätigkeitsbeschreibung eines Politikers.
Kirche ist immer auch ein politischer Raum, ob man das will oder nicht. Und: Politik ist immer der Versuch, verschiedene Kräfte an einen Tisch zu bringen.
Wie unmittelbar wirkt der Rücktritt Benedikts nach?
Benedikts Rücktritt hat das Amt entmystifiziert und ihm ein Stück Faszination genommen. Es ist alltäglicher, normaler geworden – das begrüsse ich.
Aber ändert das auch die Amtsführung? Das Konklave ist schliesslich nur mit Kardinälen besetzt, die von den beiden letzten Päpsten ernannt worden sind.
Da ist etwas Wahres dran, aber es sind einfach zu viele Kardinäle, um die absolute Kontrolle wahren zu können.
Sie schliessen eine Überraschungswahl also nicht aus?
Es ist zumindest möglich. Kein Mensch hatte mit der Wahl Johannes Paul II. gerechnet, und er entpuppte sich als äusserst politischer Papst. Benedikt XVI. hat uns mit seinem Rücktritt überrascht. Ich vertraue in solchen Momenten auf den Heiligen Geist, der manchmal an Orten wirkt, an denen wir es nicht erwarten.
Ein dunkelhäutiger Papst wäre eine Überraschung. Wäre das ein Zeichen der Liberalität oder eher ein Schritt Richtung Konservativismus?
Die bisher genannten Kandidaten aus Afrika stehen nicht für eine besonders liberale Kirche. Dazu kommt, dass die Probleme in Afrika nicht dieselben sind wie in Europa. Soziale und wirtschaftliche Fragen sind dort viel drängender als beispielsweise der Zugang von Frauen zu kirchlichen Ämtern. Ein afrikanischer Papst hätte deshalb wohl wenig Verständnis für die europäische Befindlichkeit. Das spricht zwar nicht gegen einen afrikanischen Papst, unterstreicht aber die Notwendigkeit einer Regionalisierung.