Schweden tickt anders. Während im Rest Europas rechtspopulistische Parteien seit Jahrzehnten zum festen Inventar der nationalen Politik gehören – und sich in manchen Staaten mit unterschiedlichem Erfolg auch an der Regierungsmacht beteiligen konnten –, galten die entsprechenden Kräfte in Schweden buchstäblich als Aussätzige. Keine andere politische Partei wollte bislang mit den Ende der 1980er-Jahren gegründeten Schwedendemokraten zu tun haben.
Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: geschichtliche und politische. Im Unterschied etwa zur dänischen Volkspartei oder der norwegischen Fortschrittspartei sind die Schwedendemokraten nicht im ultraliberalen EU-Kampf gross geworden, sondern haben sich aus dem Zusammenschluss verschiedenster neonazistischer Splittergruppen heraus gebildet. Das machte sie buchstäblich zu «Unberührbaren».
Paternalistisches Selbstverständnis
Dies steht in Kontrast zum oft paternalistisch anmutenden schwedischen Selbstverständnis einer moralischen Weltmacht und progressiven Vorbildes, das für die grossen Fragen unserer Zeit längst die richtigen Antworten im egalitären Wohlfahrtsstaat gefunden hat. So gelang es den Schwedendemokraten in den letzten Jahren, viele jener für sich zu gewinnen, die sich aus dem einen oder anderen Grund als Modernisierungs- und Globalisierungsverlierer verstanden – hauptsächlich in Schweden geborene Männer ausserhalb der grossen Städte.
Und obwohl sich auch bei der jüngsten Wahl fast 80 Prozent der Stimmenden nicht für die Schwedendemokraten aussprachen, steht diese Partei nun erstmals in ihrer Geschichte vor einem machtpolitischen Durchbruch. Denn ohne die Stimmen dieser Partei wird es der bisherige moderate Oppositionsführer Ulf Kristersson nicht schaffen, die sozialdemokratische Regierungschefin Magdalena Andersson aus dem Amt zu verdrängen.
Europas ungewöhnlichste Rechtspopulisten
So geht jetzt die Rechnung von Parteichef Jimmie Åkesson nach Jahrzehnten der Aufbauarbeit plötzlich auf: Zwischen der Ausgrenzungsstrategie von Mitte-Links und den erst kürzlich eingeschlagenen Eingrenzungsbemühungen der bürgerlichen Oppositionsparteien stehen die Schwedendemokraten nun plötzlich als zentrale Königsmacher da.
Starker Tobak für die allermeisten Schwedinnen und Schweden. Gleichzeitig ist jetzt aber die Stunde gekommen, in der Europas ungewöhnlichste Rechtspopulisten beweisen müssen, wofür sie nicht nur rhetorisch stehen – nämlich ein illiberales Programm nach ungarischem Vorbild –, sondern, was sich davon in der Praxis auch umsetzen lässt.
Angesichts sehr grosser aussen- wie innenpolitischer Herausforderungen, etwa die Aufgabe der seit über 200 Jahren geführten Neutralitätspolitik, wäre Schweden in den kommenden Jahren eigentlich auf eine breit abgestützte Regierungszusammenarbeit angewiesen. Es zeichnet sich jetzt aber das Gegenteil ab: eine fragile bürgerliche Minderheitenregierung, die mit der Unterstützung der Schwedendemokraten gerade auf die für Mehrheitsentscheide notwendigen 175 der 349 Stimmen im schwedischen Parlament kommt. Mit anderen Worten: Schwedens hauptsächlich selbstverschuldetes Leiden geht weiter.