In Bern und weltweit finden Demonstrationen und pro-palästinensische Kundgebungen statt. Warum das auch dem Kalkül der Hamas entspreche und inwiefern damit Antisemitismus 2.0 gefördert werden könne, ordnet Reinhard Schulze, emeritierter Professor für Islamwissenschaften, ein.
SRF News: Wie schauen Sie auf Pro-Palästina-Demos wie heute in Bern?
Reinhard Schulze: Ich finde es sehr stossend, dass nicht die Massaker in Israel selbst als Ausgangspunkt der Demonstrationen gewählt werden. Sondern dass so getan wird, als wäre das Leid der Bevölkerung, das in Gaza zu beobachten ist, aus heiterem Himmel gefallen.
Wie schätzen Sie die Organisationen ein, die hinter den Demonstrationen stehen?
Es ist nicht ganz leicht festzustellen, wer wirklich daran teilnimmt.
Erst wenn man das Panorama der Beteiligung sehen wird, wird man feststellen können, welche politische Aussage im Vordergrund stand.
Die Organisatoren sind das eine, aber wer sich wirklich danach an den Demos beteiligen wird, das andere. Erst wenn man das Panorama der Beteiligung sehen kann, wird man feststellen können, welche politische Aussage im Vordergrund stand.
Inwiefern geht für die Hamas die Rechnung auf, wenn weltweit Pro-Palästina-Demos stattfinden?
Ich denke, die politische Abteilung der Hamas rechnet stark damit.
Damit ist sicherlich ein wichtiger Punkt der Rechnung der Hamas aufgegangen.
Sie rechnet damit, dass es weltweit solche Demonstrationen gibt. Damit ist sicherlich ein wichtiger Punkt der Rechnung der Hamas aufgegangen.
Wie stark fördern solche Kundgebungen den Hass auf Juden?
Das hängt von den Inhalten ab, die auf den Kundgebungen vertreten werden. Man hat in den letzten Wochen doch den Eindruck bekommen, dass das Thema Antisemitismus stärker in den Vordergrund gerückt wird und auch von den Demonstrationen teils mitgetragen wird.
Der Antisemitismus 2.0 bezieht sich stärker auf Israel und scheint deshalb für einige viel plausibler zu werden als der alte, rassistische Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts.
Die Demonstrationen verschieben den Antisemitismus weg von den alten, rassistischen, völkerpsychologischen Modellen des 19. und 20. Jahrhunderts hin zu einem Antisemitismus 2.0. Dieser bezieht sich sehr viel stärker auf Israel und die politischen Wirklichkeiten in Nahost – und scheint deshalb für einige viel plausibler zu werden als der alte, rassistische Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts.
«Die Region soll frei von Juden werden, vom Jordan bis zum Mittelmeer»: Wie gefährlich sind solche Forderungen?
Eine solche Forderung ist genau im Rahmen dieses Antisemitismus 2.0 zu beobachten. Sie verschiebt den Fokus der Kritik hin auf Israel und damit wird die Antisemitismus-Frage so stark mit Israel verbunden, dass dann auch jede Antisemitismus-Kritik automatisch dazu führt, zu sagen 'Israel hat gar keine Legitimität mehr zu existieren'. Diese Kombination von politischer Kritik am Staat Israel plus alten antisemitischen Ressentiments bringt die Brisanz in das Ganze hinein.
Machen solche Parolen Antisemitismus salonfähig?
So kann man es in etwa ausdrücken. Die Salonfähigkeit ist sicherlich deutlicher geworden, vor allem, weil jetzt eben der Antisemitismus verknüpft wird mit der Problematik Israel.
Es bringt Ressentiments zutage, die bislang nicht politisch bespielt wurden – das ist wahrscheinlich das eigentlich Gefährliche daran.
Eine solche Forderung verschleiert vielleicht eine wirklich zugrunde liegende Motivation. Und sie bringt Ressentiments zutage, die bislang nicht politisch bespielt wurden – das ist wahrscheinlich das eigentlich Gefährliche daran.
Das Gespräch führte Mirjam Spreiter.