Keir Starmer strahlte auf der Bühne in Liverpool. Es läuft gerade gut. Die Umfragewerte für Labour sind erfreulich. Die Stimmung an der Labour-Party-Konferenz war schon fast euphorisch. Der Mann hat gute Chancen, in den nächsten Monaten in Downing Street als neuer Premierminister einzuziehen. Das liegt jedoch nicht unbedingt an ihm und seinen Ideen.
Die konservative Regierung hat sich in den vergangenen Jahren ohne sein Zutun ins Abseits manövriert. Mit Boris Johnson und Liz Truss erlebten wir eine Regierung, von der jeder Oppositionsführer nur träumen kann. Starmer war dabei ein wohltuendes Kontrastprogramm. Ruhig. Sachlich. Souverän.
«Change» ist der Slogan der Stunde
Diese Eigenschaften reichen jedoch mittlerweile nicht mehr. Premierminister Rishi Sunak ist ebenfalls ruhig, sachlich und souverän. Die Britinnen und Briten wollen mehr. Nach dreizehn Jahren Stagnation unter einer Tory-Regierung wünschen sich die Wählerinnen und Wähler dringend eine Veränderung. «Change» ist der Slogan der Stunde.
Entsprechend reformfreudig und kämpferisch präsentierte sich Keir Starmer in seiner Parteitagrede. Was kaputt sei, könne man wieder reparieren. Starmer spielte damit auf den maroden Zustand Grossbritanniens an. Wenn er Premierminister werden sollte, will er das Land neu aufbauen. Fachhochschulen mit neuen Ausbildungsgängen, eine grüne Energie-Industrie und insbesondere neue Städte mit 1.5 Millionen Häusern und Wohnungen.
Mit Megaprojekten kann man im Moment nicht punkten
Starmer hat in Liverpool eine wahre Grosssanierung in Aussicht gestellt. Zehn Jahre soll sie dauern. Das heisst, Starmer müsste in fünf Jahren noch einmal gewählt werden. Eine gewisse Skepsis ist deshalb angebracht. Zudem sind die Britinnen und Briten auf Megaprojekte gerade nicht so gut zu sprechen. Vor 30 Jahren wurde ihnen eine Hochgeschwindigkeitszugverbindung in den Norden Englands versprochen. Wie solch ambitiöse Projekt enden können, haben sie vergangene Woche erlebt. Die aktuelle Regierung hat es kurzerhand gekippt.
Trotz erfreulicher Umfragewerte ist Keir Starmer aber noch nicht am Ziel. Der Labour-Chef denkt langfristig. Das ist für einen Politiker bemerkenswert. Doch viele Briten und Britinnen wollen von ihrem nächsten Premierminister ebenso wissen, wie er ihren unmittelbaren Alltag verbessern will. Sie möchten, dass ihre Kinder am Ende der Schulzeit lesen und schreiben können. Im nächsten Winter nicht frieren und nicht zwei Jahre auf einen Zahnarzttermin warten. Allein auf die Fähigkeit der Tories, die britische Öffentlichkeit regelmässig zu enttäuschen, sollte sich Starmer nicht verlassen.