Bei Amtsantritt versprach Premierminister Rishi Sunak Integrität und Transparenz – ein wichtiges Versprechen an seine Wählerschaft nach seinen Vorgängern Boris Johnson und Liz Truss, die einen Scherbenhaufen in der konservativen Tory-Partei hinterlassen hatten.
Doch Sunaks Versprechen ist nicht mehr so viel wert. Das neueste Problem ist sein Kabinettminister Nadhim Zahawi. Beim Verkauf einer Firma soll der Tory-Chef den Gewinn von umgerechnet 30 Millionen Franken nicht ordentlich versteuert haben. Danach hat der damalige Finanzminister angeblich in einem Deal mit seiner Steuerbehörde Steuernachzahlungen in der Höhe von sieben Millionen Franken geleistet.
Millionenbusse für «kleine Nachlässigkeit»
Alles sei ordnungsgemäss abgelaufen, erklärte Sunak vor einer Woche im Parlament. Von einer «kleinen Nachlässigkeit» sprach Zahawi damals. Eine Woche später ist nun bekannt, dass er dafür eine Steuerbusse von anderthalb Millionen Franken bezahlen musste.
Eine Steuerhinterziehung lässt sich daraus zumindest erahnen. Doch Zahawi schweigt und drohte Medien, die darüber berichten wollten, lange mit Anwälten.
Premier Sunak versicherte Mitte Woche im Parlament, dass sein Ethik-Berater eine Untersuchung einleite. Er spielte damit den Ball ins hohe Gras – eine beliebte Taktik bereits unter Boris Johnson, um mit Verweis auf eine laufende Untersuchung lästige Fragen zu unterbinden.
Ist Zahawi noch tragbar?
Wie die britische Öffentlichkeit auf den neuesten Skandal reagiert, lässt sich an den stetig sinkenden Umfragewerten der konservativen Partei ablesen. Viele Britinnen und Briten haben den Eindruck, die Regierungspartei verliere zunehmend den Bezug zum realen Alltag der Menschen.
Grossbritannien leidet unter eine Wirtschaftskrise. Dazu ist es bitterkalt, und viele wissen nicht mehr, wie sie ihre Gasrechnungen bezahlen sollen. Neuerdings gibt es sogenannte «Warm Banks». Das sind öffentliche Orte, wo sich alte Menschen, Alleinerziehende und Obdachlose für einige Stunden aufwärmen und dankbar für eine Suppe oder einen Tee sind.
Dass gleichzeitig der Tory-Chef eine hohe Steuerbusse gewissermassen als administrative Routine darstellt, die sich nebenbei erledigen lässt, löst bei vielen Kopfschütteln und Ärger aus. Selbst konservative Zeitungen sehen die Regierung wieder im alten Fahrwasser angekommen.
Labour im Vormarsch – Chancen ungewiss
Die oppositionelle Labour-Partei profitiert selbstverständlich davon und walzt die Geschichte genüsslich aus. Umfragen geben der Labour-Partei recht: Wenn heute gewählt würde, gewänne sie die Mehrheit und würde in die Downing Street einziehen.
Bezüglich Integrität ist der Labour-Vorsitzende Keir Starmer klar im Vorteil. Niemand im Land zweifelt daran, dass der ehemalige Staatsanwalt seine Steuererklärung korrekt ausfüllt. Doch weiss man nicht so recht, wofür er sonst steht. Der Politiker ist wenig charismatisch und wirkt hölzern. Man wird nicht richtig warm mit ihm, wenn er spricht.
Die Menschen wählen aber nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Bauch. Trotz aller Fehlleistungen der Regierungspartei und der guten Umfrageergebnisse der Opposition ist ein Wahlsieg von Keir Starmer deshalb noch keinesfalls in Stein gemeisselt.