Desinformation oder die Kunst der organisierten Täuschung haben eine lange und reiche Geschichte. Das 20. Jahrhundert war geprägt davon, insbesondere der Kalte Krieg. Ganze Abteilungen der Geheimdienste beidseits der Mauer befassten sich damit – es gab hunderte von Desinformations-Operationen, erfolgreiche und gescheiterte. Viele sind heute gut dokumentiert.
Besonders stark tätig war der sowjetische KGB, zusammen mit den verbündeten osteuropäischen Diensten. «Typischerweise ist das Ziel solcher Massnahmen, den Gegner zu zermürben, zu zerrütten oder zu zersetzen», sagt der deutsche Politikwissenschaftler Thomas Rid, der soeben ein Buch zur Geschichte der Desinformation veröffentlicht hat und als Professor in Washington tätig ist. Diese Zerrüttung werde erreicht, indem man die bereits bestehenden Gräben in der Gesellschaft des Ziellandes weiter vertiefe, und die Gruppen, die sich gegeneinander positionierten, weiter anstachle.
Eine leider erfolgreiche Strategie
Dieses Rezept wurde während des Kalten Krieges erfolgreich angewandt, zum Beispiel bei der sogenannten «Operation Infektion». So wird die vom KGB in den 1980er-Jahren in die Welt gesetzte Lüge genannt, wonach das HI-Virus nicht auf natürlichem Weg entstand, sondern in einem Labor der US-Armee entwickelt worden sei, um Schwarze und Schwule zu dezimieren.
Wir müssen vorsichtig sein, die Desinformation kann sich festsetzen, in unseren Köpfen und unseren Geschichtsbüchern.
Diese gezielte Falschinformation wurde weltweit verbreitet, von Medien aufgenommen und auch geglaubt, und stiess – wie vom KGB geplant – vor allem bei der marginalisierten schwarzen Bevölkerung in den USA auf grosse Resonanz.
Eine biologische Waffe
Und: Diese «Aids-Verschwörung» wird bis heute von vielen geglaubt, obwohl wissenschaftlich bewiesen ist, dass das HI-Virus vom Affen stammt und die Sowjetunion sogar zugegeben hat, dass es sich dabei um eine Desinformations-Operation handelte. Rid sagt dazu: «Wir müssen vorsichtig sein, die Desinformation kann sich festsetzen, in unseren Köpfen und unseren Geschichtsbüchern.» Deshalb sei es wichtig, die Geschichte der Desinformation zu studieren.
Desinformation zu erkennen kann sehr schwer sein.
Auffällig sind die Parallelen zum Coronavirus: Damals wie heute tauchte ein todbringendes Virus auf, von dem man wenig wusste und das für grosse Unsicherheit und Schuldzuweisungen sorgte. Und auch heute kursiert die Behauptung, das Coronavirus sei eine biologische Waffe. Einige behaupten, es stamme aus einem chinesischen Labor, andere, es sei in einem Labor in den USA entwickelt worden.
Jahrzehnte, bis sie entlarvt werden
Der Unterschied zu damals besteht darin, dass viel mehr Akteure der Desinformation unterwegs sind, kleinere und auch private Akteure. Denn es ist heutzutage viel einfacher als im Kalten Krieg, Desinformation in Umlauf zu bringen – dank Internet und den sozialen Medien. Wer, was, wo platziert, was Ursache und was Wirkung einer Falschinformation ist und wie systematisch sie verbreitet wurde, lässt sich meist kaum feststellen.
Und wie Experte Rid sagt: «Desinformation zu erkennen, kann sehr schwer sein. Die Geschichte lehrt uns, dass es Jahre, bisweilen Jahrzehnte dauern kann, bis man Desinformations-Operationen wirklich als solche entlarven kann.» Obwohl sich Erzählmuster wiederholen, bleibt die Situation also unübersichtlich.