«Wir brauchen eine Nato-Friedensmission, die sich selbst verteidigen kann», forderte in Kiew Jaroslaw Kaczynski, der Mann, der in der polnischen Regierung die Fäden zieht.
Bewaffnete Nato-Soldaten in der Ukraine: Der Todfeind im Nachbarland, das wäre eine Riesenprovokation für Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Das wäre Öl ins Kriegsfeuer. Und das wäre ein besonders grosses Risiko für Polen, dieses Nato-Land, das gemeinsame Grenzen hat mit Russland, der Ukraine und dem russischen Vasallenstaat Belarus.
Unerwartete Sympathie für Kaczynski
Trotz des Risikos: Die mutige oder – je nach Position – tollkühne Haltung der Regierung geniesst in Polen viel Sympathie, sogar bei jenen, die normalerweise in Wallung geraten, wenn sie nur schon an den erzkonservativen Kaczynski denken.
Sympathie geniesst jetzt Kaczynskis Forderung nach einer bewaffneten Friedensmission. Und Sympathie genoss letzte Woche der Vorschlag, polnische Kampfjets über einen US-amerikanischen Stützpunkt in die Ukraine zu verlegen.
Den Amerikanern war das zu riskant. In Polen aber dominiert die Überzeugung, Russland verstehe nur die Sprache der Stärke, ein Kompromiss mit Putin heisse, die Ukraine fallen zu lassen – so wie der Westen einst Polen fallen liess zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Heldentum und Widerstand gehören in Polen mit seiner tragischen Geschichte zur nationalen Mythologie.
Polen gewinnt diplomatisches Ansehen
Aber die polnische Regierung erntet mit ihrem kompromisslosen Einsatz für die Ukraine nicht nur innenpolitische Sympathien. Ihr Engagement für das Nachbarland bietet ihr auch einen Ausweg aus der diplomatischen Sackgasse, in die sie sich in jüngster Zeit hineinmanövriert hat.
Der polnische Regierungschef war erst gerade noch ein Paria, geächtet von der Europäischen Union für die Vereinnahmung der Justiz. Jetzt ist er zu einem der Wortführer in der internationalen Politik geworden.
Wenn er zusammen mit zwei anderen osteuropäischen Regierungschefs nach Kiew reist, nimmt er in Anspruch, die EU zu vertreten. Wenn nächste Woche US-Präsident Joe Biden nach Europa kommt, wird er wohl auch nach Warschau reisen. Und in der EU-Zentrale sucht man plötzlich nach Wegen, wie man Polen bei den Streitereien über die Justiz entgegenkommen kann.
Polens Mut oder Polens Tollkühnheit bringt der Regierung in Warschau handfeste Vorteile.